Können wir eine Befähigergesellschaft werden?

Der Rat der Stadt Barsinghausen hat in dieser Woche einstimmig den Neubau des Wasserwerks beschlossen. Eine wichtige Entscheidung für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.  Diese Einigkeit zwischen den Ratsmitgliedern wurde aber fast von dem Streit um das geeignete Aufbereitungsverfahren überlagert. Wochenlang wurde aus einer Sachfrage eine Glaubensfrage gemacht, und im Kampf um die Meinungshoheit wurden phasenweise leider auch persönliche Angriffe gefahren.

Es ist immer wieder zu beobachten, wie schwer uns die sachliche Auseinandersetzung fällt. Die Bereitschaft dazu, eine andere Sichtweise zuzulassen, die Perspektive zu wechseln und einen Ausflug in fremd erscheinende Gedankenwelten zu wagen, ist gering. Leichter fällt es uns, vermeintliche Missstände zu beklagen und im Gewohnten zu verharren. Dabei unterschätzen wir gern, dass unser persönliches Verhalten Auswirkungen auf unser Umfeld hat. Und als "Schneeball" können wir sogar Einfluss auf gesellschaftliche Veränderungen nehmen. Der Glaube an diese Einflussmöglichkeit ist vielen von uns abhanden gekommen. Das führt im schlimmsten Fall zu Frust, Resignation und den vollständigen Rückzug in sich selbst. Kritisch wird es dann, wenn eine Mehrheit diesen Rückzug antritt und parallele, unseren Werten entgegenstehende Gesellschaftsformen das grundsätzliche Bedürfnis des Menschen nach Gemeinschaft befriedigen. 

Dabei wurde uns vor 70 Jahren mit den Grundrechten in unserem Grundgesetz nicht nur eine Vision sondern ein wegweisendes Regelwerk für eine  fortschrittliche, tragfähige und nachhaltige Gesellschaft geschenkt. Problematisch ist es allerdings, dass wir gern auf unsere Rechte pochen, die damit verbundenen Pflichten gegenüber anderen aber oft vergessen. Teilweise auch deswegen, weil einige Pflichten uns zu überfordern scheinen. Es ist eben nicht immer so leicht, auch anderen die freie Meinungsäußerung zuzugestehen, einen anderen als den eigenen Glauben zu akzeptieren oder politisch verfolgten Menschen, die uns eventuell befremden, Asyl zu gewähren. Die Befähigung dazu, jederzeit ein freies, verantwortungsbewusstes Mitglieder unserer Gesellschaft im Sinne unserer Grundrechte zu sein, ist vermutlich keinem von uns zu 100% gegeben. Diese Befähigung will erlernt sein. Und jeder Mensch, der diese Fähigkeit besitzt, sollte zu einem Befähiger für andere und unsere Gesellschaft insgesamt werden.

Alle politischen Parteien betonen die Bedeutung von Bildung. Meine eigene Partei spricht sogar von "weltbester Bildung". Dieser richtige Anspruch darf sich aber nicht bloß in der Forderung nach einem ausreichend hohen Bildungsbudget erschöpfen. Die Anforderungen an uns alle in einem sich immer schneller verändernden Umfeld sind immens. Daher benötigen wir tragfähige inhaltsbezogene Bildungskonzepte für ein "lebenslanges Lernen".  Dabei reicht es nicht aus, Menschen auf eine selbständige Lebensführung vorzubereiten. Wir müssen zusätzlich den Anspruch haben, dass wir alle die Befähigung erlangen, unsere in den Grundrechten dargelegten Werte zu respektieren und mit Leben zu erfüllen.

Den Freien Demokraten wird oft nachgesagt, eine Politik für Besserverdienende und Privilegierte zu machen. Das trifft aber nicht zu. Der liberale Gedanke der FDP stellt immer die persönliche Freiheit und die gesellschaftliche Verantwortung als Einheit dar. Nur der freie, selbstbestimmte und verantwortungsbewusste Mensch kann eine Gesellschaft aufrechterhalten, in der unsere Grundwerte lebendig sind. Davon bin ich überzeugt. Und darum wünsche ich mir, das wir eine Befähigergesellschaft werden.