Sieville


Zweiter Aufzug

Auf der Bühne stehen die leeren Lehnstühle so, wie am Ende des ersten Aufzugs. Am Schilderwald ist das Schild mit der Aufschrift „Moorum“ zu den Zuschauern gedreht.

Die Spielfläche hat eine weiße Rückwand erhalten, die wie ein Whiteboard verwendet werden kann, d.h. sie ist beschreibbar und abwischbar (siehe Abbildung).


Neunte Szene

Vor der weißen Wand auf der Spielfläche sitzen FINN GUTH und WALID JESSEN Rücken an Rücken. Sie sind nackt. Ihre Kleider und Schuhe sind um sie herum, auf den Stühlen am linken Spielflächenrand und auf der Spielfläche verteilt. FINN hat eine schwarze Emo-Frisur. Er trägt Totenkopf-Ohrstecker. Sein Körper sowie seine Arme und Beine sind mannigfaltig tätowiert. Das Tattoo einer großen Eule im Anflug auf Beute nimmt fast seinen kompletten Rücken ein. Seine linke Brust ziert ein feminines Antlitz, das die Augen geschlossen hält. Weitere Tattoos mit zumeist düsteren Motiven zieren seine Arme und Beine.

WALID legt seinen Hinterkopf auf Finns Schulter. Ich glaube, ich bin zum ersten Mal verliebt. Richtig verliebt. Ich möchte den Moment ganz einfach festhalten.

FINN möchte nicht zu gefühlig werden. Du kannst ihn ja einfrieren!

WALID versetzt Finn einen leichten, liebevollen Kopfstoß mit der flachen Rückhand. Ekel!

FINN zitiert aus einem Gedicht von Walt Whitman. „There was never any more inception than there is now, / Nor any more youth or age than there is now, / And will never be any more perfection than there is now, / Nor any more heaven or hell than there is now.“

WALID. Cool. Aus welchem Song ist das?

FINN nennt den Titel des Gedichts. „Song of Myself“.

WALID kennt ein Lied mit dem gleichen Titel von der Gruppe Nightwish, kann sich aber nicht an diese Textzeilen erinnern. Von Nightwish?

FINN stellt amüsiert klar. Walt Whitman.

WALID kennt Walt Whitman nicht. Okey! Schon etwas älter, oder?

FINN. Achtzehnhundertzweiundneunzig!

WALID ist überrascht. Echt? Woher kennst Du das?

FINN. Von Lisa.

WALID hört den Namen nicht zum ersten Mal. Wer ist diese Lisa eigentlich?

FINN. Lisa ist das Beste und das Schlechteste in meinem Leben. Und mehr will ich darüber nicht sagen.

FINN steht auf, schlendert zu den Stühlen am linken Rand der Spielfläche und durchsucht die Taschen seiner Hose nach Zigaretten.

WALID. Das Tattoo auf Deiner Brust?

FINN. Ist Lisa. Ende! (Er hat die Zigaretten gefunden) Warst Du nie an Maya interessiert?

WALID hält das für völlig absurd. Ich bin schwul, hundert Pro.

FINN kann sich das nicht vorstellen. Und Du hattest echt nie Lust auf Maya?

WALID rümpft die Nase. Hölle, nein!

FINN meint es ernst. Wir könnten mal ´nen Dreier machen!

WALID ist ernüchtert. Nee, lass mal!

Während sich FINN die Zigarette anzündet, greift WALID seine Boxershorts und das Langarmshirt und zieht beides an.

FINN hat sich auf den Stuhl gesetzt und genießt den ersten Zug von seiner filterlosen Zigarette. Du teilst nicht gerne, hab ich recht?

WALID überlegt kurz. Ein Moment wie eben ist für mich unteilbar.

FINN. Hast Du echt nur Sex mit Typen, in die Du verknallt bist?

WALID versteht nicht, warum Finn diesen Moment klein macht. Ich bin nicht in Dich „verknallt“! Vielleicht fühle ich für Dich, wie Du für Lisa.

FINN schroff. Du hast keine Ahnung von Lisa.

WALID. Wenn Du nichts erzählst. Ich weiß eigentlich gar nichts über Dich.

FINN. Im Augenblick weißt Du alles über mich. (Er lächelt unbestimmt) Möglich, dass Du im nächsten mehr erfährst.

WALID. Du redest wie ein altes Orakel.

FINN. Vielleicht bin ich ja sogar ein uraltes Orakel. Oder ein Guru. Oder ein Schamane. Ist das wichtig?

WALID. Für mich schon! Ich möchte gerne wissen…

FINN unterbricht ihn. Mit wem Du Sex hast?

WALID. Für Dich war das bloß Sex?

FINN. Sex ist alles. Sex ist nichts.

WALID schaut ihn fragend an. Bist Du wirklich erst neunzehn?

FINN steht auf und stellt sich scherzhaft in Pose. Kann dieser Anblick lügen?

WALID steht auf, geht zu FINN und legt seine Arme um Finns Hals. WALID ist einen halben Kopf kleiner als FINN. WALID schaut FINN in die Augen. Dann nimmt Finn einen weiteren Zug aus der Zigarette und pustet WALID langsam den Rauch ins Gesicht. WALID spürt den Rauch brennend in den Augen, aber er bleibt ruhig in der Umarmung stehen.

FINN leise aber eindringlich. Wenn Du mich liebst, wirst Du enttäuscht.

WALID bleibt standhaft. Wenn ich Dich liebe, ist das mein Problem!

FINN löst sich von ihm und wechselt das Thema. Was wollen wir heute machen? Bist Du schon mal Motocross gefahren?

FINN schnappt sich seine Hose und schlüpft hinein.

WALID. Ich bin überhaupt noch nicht Motorrad gefahren.

FINN grinst. Warum überrascht mich das nicht?

WALID ist gekränkt. Du hältst mich für eine langweilige Tussi, mit der man allerhöchstens mal ficken kann, stimmts?

FINN. Wenn Du das glauben willst, dann ist das auch Dein Problem.

WALID halb fragend, halb feststellend. Du hast natürlich keine Probleme.

FINN zieht sich ein schwarzes T-Shirt über. Im Moment nicht. Vielleicht hab ich ja morgen welche. Ich sag Dir dann bescheid.

FINN zieht sich im Folgenden auch seine Strümpfe und die schwarzen Stiefel an.

WALID möchte ernsthaft mit Finn sprechen, hat jedoch Angst, etwas Falsches zu sagen und Finn abzuschrecken. Maya ist mir wichtig. Vielleicht liebe ich sie sogar. Aber mehr als Schwester oder beste Freundin eben.

FINN. Maya ist ziemlich durchgeknallt, findest Du nicht?

WALID nimmt Maya unwillkürlich in Schutz. Maya macht Musik, das ist doch nicht durchgeknallt!

FINN. Ich meine nicht ihre Musik, die ist geil. Ich meine ihre Art. Die ist in irgendeiner anderen Sphäre unterwegs. Ziemlich ungesund, wenn Du mich fragst.

WALID fast empört. Maya ist nicht verrückt!

FINN. Ich war auch mal so ´n Knochengestell. Wollte nichts fressen, dachte, ich bin zu fett.

WALID. Das hab ich Maya auch schon oft gesagt, dass sie mehr essen muss. Aber wenn ich für uns koche, schmeckt es ihr.

FINN grinst. Was kochst Du denn? Döner?

WALID mit einem beleidigten Unterton. Ich kann kochen!

FINN blickt Walid tief in die Augen. Ich meine das ernst: wenn Maya nicht aufpasst, dann geht sie über die Wupper!

WALID klammert sich haltsuchend an Finn. Ich weiß das doch! Ich weiß das! Davor hab ich Horror!

FINN lässt die Umklammerung zu ohne sie zu erwidern. Schließlich löst WALID die Umarmung, schaut Finn an und küsst ihn mit einer verzweifelten Innigkeit. Dann lässt er von ihm ab.

WALID fast entschuldigend. Ich muss mich anziehen!

WALID sucht seine Hose, die Strümpfe und Schuhe zusammen und zieht sich an.

FINN schaut Walid zu. Du bist echt fies verkrampft, weißt Du das?

WALID. Ja, ich weiß, so bin ich Maya keine Hilfe.

FINN. Scheiße, Mann, ihr zieht euch gegenseitig runter.

WALID ist hilflos. Ich darf sie nicht runterziehen, ich muss ihr helfen. Ich bin Sozialarbeiter. Ich bin dafür ausgebildet, Menschen zu helfen!

FINN in flapsigem Ton. Menschen, die man liebt, kann man nicht helfen, die kann man nur lieben.

WALID. Das ist doch Schwachsinn!

FINN mit hartem Unterton. Schon klar!

In WALIDs City Bag klingelt sein Smartphone.

FINN. Das ist deins.

WALID greift sich hastig seinen City Bag und holt das Smartphone hervor. Er registriert mit Schrecken, dass Achim Blumenau anruft.

WALID ahnungsvoll. Achim! Ist was passiert? (Er hört mit wachsender Unruhe zu) Wo bist Du jetzt? (Hört zu) Ich komme! Ich bin schon auf dem Weg! (Er beendet das Telefonat und blickt Finn voller Entsetzen an) Maya ist im Krankenhaus.

FINN scheinbar emotionslos. Lass mich raten.

WALID nickt schwach und kämpft gegen die Tränen. Warum tut sie das?

FINN greift sich kurzentschlossen Walids City Bag. Wo ist Dein Autoschlüssel? Ich fahre Dich.

WALID schwach. Du hast doch gar kein Führerschein!

FINN. Wen interessierts? Du kannst jetzt nicht selbst fahren! (Autoritär) Komm!

FINN geht voran und WALID folgt ihm. Zusammen verlassen sie die Spielfläche und die Bühne.


Zehnte Szene

CARLA SIEVEN betritt von rechts die Bühne. Sie geht zum Schilderwald und dreht das Hinweisschild „Sieville“ zu den Zuschauern. Dann geht sie über den Laufsteg auf die Spielfläche. Sie blickt sich im Raum um, registriert, dass sie noch allein ist, und nimmt auf einem der beiden Stühle Platz. Sie holt ihr Smartphone hervor und checkt ihre Nachrichten.

Kurze Zeit später eilt WOLF MAYER auf die Bühne und betritt von rechts die Spielfläche. Er hat eine Packung verschieden farbiger Whiteboard-Marker mit breiter Strichstärke und ein Whiteboard-Reinigungstuch dabei.

WOLF gehetzt. Carla! Du bist schon da!

CARLA blickt genervt von ihrem Smartphone auf. Guten Morgen, Wolf!

WOLF. Ja, sorry, guten Morgen erstmal! Ich bin gerannt. Hier waren schon wieder alle Stifte für das Whiteboard verschwunden. Ich weiß nicht, ob die irgendjemand frisst!

CARLA leicht süffisant. Willst Du uns wieder mit Deinen Strichmännchen unterhalten?

WOLF ist immer noch leicht außer Atem. Keine Strichmännchen, Carla, versprochen!

WOLF geht zur Rückwand und malt mit einem der Marker einen Kreis in die Mitte. In den Kreis schreibt er ein großes „S“.

WOLF wendet sich Carla zu und erklärt. Das „S“ steht für Sieville.

CARLA. Wollen wir nicht auf die anderen warten?

WOLF ist irritiert. Welche anderen? Ich will mit Dir reden, Carla.

CARLA seufzt. Hört das nie auf? Diese Einzelgespräche, diese Hinterzimmer-Diplomatie?

WOLF versteht ihren Ärger nicht. Was für eine „Hinterzimmer-Diplomatie“? Ich will mit Dir reden, weiter nichts. Ich möchte mit Dir einen Gedanken durchgehen. Ich brauche Dich als Sparringspartnerin sozusagen. Das ist alles noch unfertig. Ich brauche Deinen kritischen Verstand. Genau.

CARLA ist erschöpft. Ach, Wolf!

WOLF eindringlich. Bitte, Carla!

CARLA legt ihr Smartphone auf den anderen Stuhl, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Dann fang schon an!

WOLF. Danke! (Er weist auf den Kreis mit dem „S“) Sieville also! Genau. (Er spricht langsamer als sonst, er entwickelt seine Gedanken und beobachtet immer wieder, ob Carla eine Reaktion zeigt) Was ist Sieville eigentlich? Welchen Sinn und Zweck verbinden wir mit Sieville? Haben wir alle die gleiche Vorstellung davon? Hat Sieville eine tragfähige Mission?

CARLA verändert ihre Sitzposition, sie wirkt bereits unruhig.

WOLF glaubt, dass ihn Carla unterbrechen möchte. Warte kurz, Du wirst gleich merken, worauf ich hinaus will.

CARLA hebt beschwichtigend die Hände. Ich höre Dir zu! Keine Sorge, ich unterbreche Dich nicht. Mach erstmal weiter.

WOLF konzentriert sich. Ich meine nicht die Foundation, Carla, ich meine Sieville. Wir beide hatten doch die gleiche Vorstellungen davon, was Sieville sein könnte. Wir haben Sieville nicht als Sitz einer Foundation betrachtet, so wie Dein Vater. Für uns war Sieville das wichtigste Experiment von allen, unser Gesellschaftsmodell für die Zukunft. Genau.

CARLA ist überrascht. Warum „war“?

WOLF. Weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob Du das immer noch so siehst. (Er wartet kurz auf eine Antwort, dann spricht er weiter) Wir haben unsere Charta, sicher! Und sonst? Hast Du das Gefühl, dass hier eine neue Sozialgemeinschaft entsteht? Ein Modell für andere? Ein Modell, das übertragbar wäre? Wer lebt denn hier? Ist das repräsentativ für eine moderne Gesellschaft? Und wieviel Gemeinschaft haben wir tatsächlich? Hat Carl nicht recht, wenn er darauf schimpft, dass in Sieville viele nur ihren wirren Utopien nachhängen und pseudo-wissenschaftliche Selbstbefriedigung betreiben?

CARLA. Ich glaube nicht, dass Carl das wirklich interessiert.

WOLF. Und was ist mit uns? Dir und mir? Was haben wir in den letzten Jahren erreicht? Sind wir zufrieden damit? Bist Du zufrieden? Interessiert es Dich überhaupt, ob wir etwas erreicht haben und ob wir jemals etwas erreichen werden?

CARLA. Ziehst Du das in Zweifel?

WOLF zeichnet schräg links unter dem ersten Kreis mit dem „S“ einen größeren Kreis, in den er das Wort „Ergebnisse“ schreibt.

WOLF. Was sind unsere Ergebnisse, Carla? Was hat Sieville in den letzten Jahren an Zählbarem hervorgebracht?

CARLA. Müssen wir denn immer etwas „Zählbares“ hervorbringen? Reicht es nicht vielleicht auch einfach, ich weiß nicht, (Zäsur) Bewusstsein zu verändern?

WOLF schreibt in den Ergebnis-Kreis das Wort „Bewusstseinsveränderung“.

WOLF murmelt während er schreibt. Bewusstseinsveränderung. (Wendet sich wieder an Carla) Woran machen wir das fest? Wie erkennen wir, ob wir Bewusstsein verändert haben?

CARLA widerwillig. An Verhaltensweisen, denke ich. Die sind sichtbar.

WOLF schreibt auch das Wort „Verhaltensweisen“ in den Ergebnis-Kreis.

CARLA stöhnt. Ach, Wolf, das ist mir schon wieder viel zu technokratisch, wie Du das angehst. Alles willst Du in Systeme pressen.

WOLF. Ich will nur Ergebnisse messen. Ich will wissen, ob ich mit dem, was ich tue, auf dem richtigen Weg bin oder nicht. Du hast, glaube ich, eine Vision, aber keinen Weg. Genau.

CARLA. Ich maße mir auch nicht an, den richtigen Weg zu kennen, und schon gar nicht, den richtigen Weg für andere zu bestimmen.

WOLF. Dann bleibst Du ziellos. Und alle die Dir folgen auch. Wie willst Du denn erkennen, an welcher Wegmarke Du gerade bist?

CARLA. Jetzt kommen die Meilensteine!

WOLF. Ja, natürlich, die sind wichtig. Wenn Du keine Meilensteine setzt, dann weißt Du nicht einmal, ob Du dich tatsächlich auf dem richtigen Weg befindest.

CARLA. Der Weg ist mein Ziel, Wolf! Ich kenne ihn nicht, bevor ich ihn nicht gegangen bin.

WOLF. Schon klar: „Two roads diverged in a wood, and I - I took the one less traveled by, And that has made all the difference“! Walt Whitman.

CARLA korrigiert. Robert Lee Frost.

WOLF. Dann eben Frost, auch gut!

CARLA steht auf. Wolf! (Sie geht zu ihm hin und nimmt ihm einen Stift aus der Hand) Du wirst mich jetzt als nächstes fragen, wie wir unsere Ziele erreichen.

CARLA zeichnet rechts unter dem Kreis mit dem „S“ einen größeren Kreis und schreibt den Satz „Wie erreichen wir unsere Ziele?“ hinein.

CARLA. Und anschließend wirst Du mich fragen, was wir sind, und wo wir hin wollen.

CARLA zeichnet über dem Kreis mit dem „S“ einen größeren Kreis und schreibt den Satz „Was sind wir und was wollen wir?“ hinein. Aus dem ersten Ergebniskreis links unten und den beiden Kreisen, die Carla gezeichnet hat, ist quasi ein dreiblättriges Kleeblatt geworden. Und als Achse in der Mitte fungiert der kleinere Kreis mit dem „S“.

CARLA. Glaubst Du, ich kenne keine Organisationsmodelle? Das ist simpel!

WOLF lässt sich nicht beirren. Wenn es so simpel ist, Carla, warum handeln wir dann nicht danach?

CARLA. Weil Sieville ein Gemeinwesen ist und keine Firma!

WOLF ist überzeugt. Aber Sieville ist auch ein System! Jedes Gemeinwesen ist ein System, ob die Gemeinschaft das nun will oder nicht.

CARLA wird emotionaler. Als Menschen sind wir Teil eines einzigen großen Systems: der Natur nämlich! Das Dumme ist nur, dass die Zusammenhänge und Wechselwirkungen in der Natur uns Menschen herzlich am Arsch vorbeigehen.

WOLF. Ja! Ja, ich bin bei Dir! Aber Du machst den ersten vor dem zweiten Schritt. Wir sind nämlich nicht nur Elemente der Natur, wir sind auch Elemente unserer gesellschaftlichen Systeme. Nenn sie, von mir aus, Teilsysteme der Natur. Genau. Und wenn diese Teilsysteme nicht funktionieren, dann funktioniert irgendwann auch das Gesamtsystem nicht mehr, das Große und Ganze, wie Du es gerne nennst.

CARLA. Wahrscheinlich ist das so.

WOLF. Das ist so, Carla. Und ich gebe Deinem Vater Recht, dass wir endlich unsere PS auf die Straße bringen müssen. Die Welt gerät aus den Fugen. Aber keiner scheint sich mehr dafür zu interessieren, welche Zusammenhänge und Wechselwirkungen auf unserer Erde existieren. Immer wieder lassen wir es zu, dass Dinge realisiert werden, die wir nicht wollen, nur weil wir verdammt nochmal zu faul dazu sind, uns klar zu machen, was wir eigentlich wollen. Lieber lassen wir es zu, das andere für uns Fakten schaffen, und empören uns anschließend filmreif, welchen Schrott die wieder angerichtet haben. Das kann doch nicht so weitergehen. Ich finde, Sieville muss ein Beispiel dafür werden, wie man ein Gemeinwesen als Teil des großen natürlichen Systems nachhaltig entwickelt und verantwortungsvoll steuert.

CARLA empfindet mit jeder Faser ihres Körpers Widerwillen. Ich will aber nicht gesteuert werden, auch nicht verantwortungsvoll! Wer soll mich denn steuern? Wer soll das Recht haben, mir zu sagen, geh rechts rum oder links rum? Ich möchte mal wissen, was in Menschen vorgeht, die meinen, für andere entscheiden zu können. Andere steuern zu dürfen. Die sich das Recht nehmen, Dinge für geheim zu erklären, aber selbst alle Geheimnisse kennen wollen. Woher nehmen diese Leute das Recht, zu bestimmen, welche Wahrheiten sie den „kleinen Leuten“ zumuten können und welche nicht! Allein die Wortwahl „kleine Leute“ ist doch, entschuldige, zum Kotzen!

WOLF. Also willst Du es dem Zufall überlassen, ob das alles auch in Zukunft funktioniert? Ob die Menschen Nachhaltigkeit nicht nur als Phrase verwenden sondern lebensfähig bleiben? Ob die Natur kaputt geht oder nicht?

CARLA. Das habe ich nicht gesagt! Aber meiner Meinung nach, dürfen wir uns nicht noch länger von technischem Fortschritt, unerfüllbaren Wachstumsfantasien und selbsternannten Eliten abhängig machen. Wir müssen selbst in die Hufe kommen: jede Einzeln von uns, und auch die Kerle. Jahrzehntelang haben wir Maschinen weiterentwickelt. Und was ist mit uns? Mit uns Menschen? Der angeblichen „Krönung der Schöpfung“? Ich sage Dir was: unsere Entwicklung haben wir verpennt oder in unserem Allmächtigkeitswahn für überflüssig gehalten. Dabei sind wir in unserem sozialen Miteinander total unterentwickelt. Der Mensch ist egoistisch und träge. Er überlässt es gerne Anderen oder dem Staat, den Dreck zu beseitigen, den er in seiner Selbstherrlichkeit tagtäglich produziert. Da müssen wir ran, Wolf! Dieses Bewusstsein, diese Kultur der Verantwortungsverweigerung müssen wir verändern. Das sehe ich als unsere Aufgabe in Sieville an.

WOLF. Wir sind doch beieinander, Carla. Aber was spricht dagegen, das alles mit System zu tun?

CARLA sie überlegt kurz, wie sie es ihm beibringen soll. Systeme haben Architekten. Systeme haben Entwickler. Systeme haben Steuerungs- und Überwachungsfunktionen. In Systemen müssen alle Elemente ihren vorbestimmten Platz haben, um zu funktionieren. Systeme fördern nicht das Verantwortungsbewusstsein der Einzelnen. In Systemen gibt es keine Freiheit.

WOLF. Systeme können Freiräume definieren, das ist kein Problem. Es muss nur passen.

CARLA. Ja, eben. Es muss passen! Wem muss es passen? Wer bestimmt, wie Du zu funktionieren hast? Du Wolf Mayer? Wie hast Du zu funktionieren, damit das System Profit abwirft?

WOLF. Es geht nicht um Profit! Es geht um Ergebnisse, die die Gemeinschaft gemeinsam definiert.

CARLA. Du meinst die Mehrheit der Gemeinschaft. Soll´s die absolute sein oder eine qualifizierte, oder, der Einfachheit halber, doch nur eine relative?

WOLF. Warum wirst Du immer gleich polemisch?

CARLA ätzt. Oh, entschuldige, ich hatte vergessen, wie empfindlich Herr Mayer ist.

Es entsteht eine kurze Pause, in der WOLF überlegt, wie er weiter argumentieren soll. Er kennt CARLA. Sie kann ihn mit derartigen Worten nicht verletzen. WOLF will nicht aufgeben, sie zu überzeugen. Er lockert seinen Krawattenknoten und öffnet den obersten Knopf von seinem Hemd.

WOLF wechselt scheinbar das Thema. Wie willst Du eigentlich verhindern, dass Dein Vater hier in Sieville ein Zentrum für Altersforschung errichtet?

CARLA stur. Ich werde es verhindern!

WOLF. Und wenn der Sieville-Rat die Pläne unterstützt?

CARLA ist alarmiert. Weißt Du schon wieder mehr als ich?

WOLF zuckt mit den Schultern. Glaubst Du, dass es Menschen gibt, die noch nie den Traum von Unsterblichkeit geträumt haben?

CARLA entschieden. Für mich ist dieser Traum ein Alptraum!

WOLF. Warum? Weil Du die Konsequenzen fürchtest? Weil Du nicht weißt, was Du mit einem unendlichen Leben anfangen würdest?

WOLF geht zur Rückwand und schreibt in den Ergebnis-Kreis das Wort „Untersterblichkeit“ mit einem anschließenden Fragezeichen. CARLA starrt das Wort mit einem Ausdruck von Ekel und Entsetzen an.

CARLA flüstert fast. Das kann doch niemand ernsthaft wollen.

WOLF überlegt. Ich glaube, wir müssen mit allen hier in Sieville Konsens darüber erzielen, was wir unter einem „Ort des Fortschritts und einer Menschheit, die niemals altert“ verstehen. Genau. (Zäsur) Ich spekuliere mal: Dein Vater versteht unter Fortschritt die weltweite Digitalisierung. Und die Altersfrage überlässt er Greyde. Willst Du ihm auf diesem Weg folgen?

CARLA. Denkst Du, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters treten will, nur weil er mich schon mit der Auswahl meines Vornamens zu seiner legitimen Nachfolgerin erklärt hat?

WOLF. Du bist nach Sieville gekommen, Du hast Dich zur Vize-Präsidentin der Foundation wählen lassen.

CARLA. Du weißt, dass ich Lehrerin aus Überzeugung war, Wolf. Ich wollte immer jungen Menschen dabei helfen, ihre Orientierung zu finden. Ich wollte ihnen dabei helfen, Eigenständigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.

WOLF. Warum bist Du dann nicht Lehrerin geblieben?

CARLA wirkt ratlos. Keine Ahnung, vielleicht hätte ich das tun sollen. (Kurzes Innehalten) Aber weißt Du, irgendwann konnte ich mich nicht mehr mit den Lehrplänen identifizieren. Ich hatte das Gefühl, Lehrbausteine aufzutürmen, und die Kinder sind dahinter verschwunden. Ich wusste nicht mehr, wie ich ihnen Eigenständigkeit und Empathie vermitteln sollte. Und Alltagstauglichkeit stand auch nicht auf dem Lehrplan.

WOLF selten giftig. Okey! Und statt die Lehrbausteine aus dem Weg zu räumen, bist Du lieber in Deinen Elfenbeinturm Sieville geflüchtet. Glaubst Du ernsthaft, dass Du von hier aus die Menschheit retten kannst?

CARLA ist wütend. Fuck off, Wolfgang Mayer! Was soll das? Jetzt wirst Du polemisch!

WOLF ist angespannt, zwingt sich aber zur Ruhe. Es hilft nicht, sich nur auf Intuition zu verlassen und Systeme zu verteufeln. Jeder Mensch ist in sich ein System.

CARLA wütend. Und wenn es nicht mehr funktioniert, dann wird es aussortiert und durch ein anderes ersetzt!

WOLF merkt, dass Carla ihn nicht versteht oder verstehen will, und dass ihm die richtigen Ausdrücke fehlen. Trotzdem versucht er es weiter. Kein Mensch soll ersetzt werden. Ob ein Mensch als wertvoll für unsere Gesellschaft angesehen wird, das hängt doch nicht von seiner Funktionsfähigkeit ab. Das hängt von unseren Werten ab.

CARLA ist angriffslustig. Und wer bestimmt die Werte?

WOLF. Wir, die Gesellschaft! (Zäsur) Aber nicht der Einzelne durch sein Geld, seinen Egoismus und seine Allmachtsfantasien.

CARLA. So wie mein Vater?

WOLF zuckt mit den Schultern. Er sieht, dass CARL SIEVEN im Rücken von CARLA die Spielfläche betritt.

CARL wirkt innerlich unruhig, gibt sich aber betont lässig. Was ist mit Deinem Vater?

CARLA erschreckt sich und dreht sich zu CARL um.

CARL lächelt unbestimmt. Sorry, my heart, ich wollte Dich nicht erschrecken.

CARLA beschwichtigt. Hast Du nicht. (Mit leichter Ironie) Ich habe nur über Wolfs neueste System-Theorie nachgedacht.

CARL nimmt den ironischen Unterton auf. Du Arme, dann wird es Zeit, dass ich Dich rette! Ich habe auf Dich und Dein neues „Mündel“ ein Attentat vor. (Es klingt unterschwellig ein Vorwurf durch) Die junge Frau, für die Du Deinen Sitz im Aufnahmekomitee aufgeben willst.

CARLA überrascht. Kim Nerius?

CARL. Die meine ich, die „Journalistin“.

CARLA. Was hast Du mit uns vor?

CARL. Wenn Du ein bisschen Zeit für Deinen alten Daddy erübrigen kannst, dann werde ich es Dir erklären. Lass uns in mein Büro gehen.

CARLA wird hellhörig. So geheim?

CARL mit einem Seitenhieb auf Wolf. Unser lieber Wolf muss ja nicht alles mitkriegen. (Er deutet auf die Kreise an der Wand) Warst Du schon wieder auf einem Deiner Managementseminare?

CARLA will keinen Streit. Er hat mir was erklärt. Manchmal brauche ich ein Bild, um besser zu kapieren. (Zu Wolf) Wir setzten das fort, Wolf. Versprochen.

WOLF macht eine Geste, als würde er denken „ja, ja, wer´s glaubt!“

CARL ist schon ein paar Schritte nach links voraus gegangen. Kommst Du?

CARLA. Gleich. Geh schon vor.

CARL zögert.

CARLA. Ich komme gleich. Bitte, Papa!

CARLA beobachtet, wie CARL unwillig die Spielfläche und die Bühne nach links verlässt. Dann wendet sie sich noch einmal an WOLF.

CARLA eindringlich. Wolf, ich verstehe, was Du mir sagen willst! Aber ich will das nicht! Ich will die Welt nicht in Systeme einteilen oder Menschen als Systeme betrachten. Menschen sind Individuen für mich. Kein Individuum ist besser als das andere. Kein Individuum hat das Recht, sich über ein anderes zu erheben und dem anderen Vorschriften zu machen! Das halte ich für anmaßend.

WOLF. Und wieso nimmst Du Dir deinerseits das Recht, die Pläne Deines Vaters zu verhindern?

CARLA nickt. Du hast recht, ich habe nicht das Recht. Wenn Carl die Labore bauen will, dann soll er sie bauen!

WOLF ist perplex. Ist das Dein Ernst?

CARLA wirkt müde. Wenn Greyde seine Altersforschung nicht in Sieville betreibt, dann betreibt er sie woanders. Wenn Menschen die Möglichkeit wittern, ewig leben zu können, dann werden sie alles daran setzen, diese Möglichkeit zu nutzen. Ein Virus vermehrt sich auch so lange, bis es vernichtet wird oder seinen Wirt vernichtet. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass wir Menschen so ein Virus für die Erde sind. (Zäsur) Vielleicht soll das so sein. Ich habe zwar meine Meinung dazu, aber ob die besser oder schlechter ist als andere? Kein Ahnung! Ich werde mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halten. Ich werde sie laut hinaus brüllen, wenn es sein muss, aber ich werde nichts und niemanden steuern oder überwachen! Ich will nämlich auch nicht gesteuert und überwacht werden! Und vielleicht klappt es ja doch: ich überzeuge drei Menschen, die zusammen neun weitere überzeugen, und so weiter.

WOLF. Verstand und Einsicht wachsen aber nicht exponentiell, Carla. Nie und nimmer!

CARLA. Das ist Deine Meinung!

CARLA und WOLF blicken sich eine Weile schweigend an, dann geht CARLA ihrem Vater hinterher und verlässt nach links die Bühne. WOLF bleibt nachdenklich zurück. Schließlich geht er zur Wand und wischt ein paar Mal mit dem Whiteboard-Reinigungstuch über die Zeichnung. Sie bleibt als Fragment sichtbar. Mit einer frustrierten Geste lässt er das Tuch zu Boden fallen und verlässt dann ebenfalls die Spielfläche und geht nach rechts von der Bühne ab.


Elfte Szene

ACHIM BLUMENAU betritt von links die Bühne, er trägt seinen Mund-Nasen-Schutz. ACHIM geht zum Schilderwald und dreht das Hinweisschild „Sieventhal“ zu den Zuschauern. Dann geht er über den Laufsteg auf die Spielfläche. Er nimmt die beiden Lehnstühle und trägt sie von der linken Seite hinüber zur Wand. Mittig stellt er sie mit der Lehne dicht an die Wand heran und geht eine Weile ungeduldig vor den Stühlen auf und ab. Schließlich setzt er sich auf einen der Stühle. Die Unruhe bleibt sein Begleiter.

Nach einer Weile eilt WALID JESSEN aus dem Hintergrund auf die Bühne. Auch er trägt seinen Mund-Nasen-Schutz. WALID wirkt, als suche er den richtigen Weg. In einigem Abstand folgt ihm FINN GUTH. Er wirkt ruhiger. Sein Mund-Nasen-Schutz ist eine schwarze Ledermaske mit einem aufgedruckten weißen Totenschädel. Endlich hat WALID den richtigen Weg gefunden und er betritt die Spielfläche von rechts.

WALID erblickt Achim. Achim! (Er eilt auf ihn zu und nimmt neben ihm Platz) Gibt´s was Neues? Wie geht es Maya?

ACHIM scheint durch Walid hindurch zu blicken. Sie lebt. Sie haben ihr den Magen ausgepumpt.

Während des folgenden Dialogs hockt sich FINN auf den Rand der Spielfläche und beobachtet die beiden aus der Entfernung.

ACHIM spricht fast tonlos. Boris Vuković hat sie gefunden. Es war wohl knapp.

WALID versteht nicht. Boris? (Er zieht sich den Mund-Nasen-Schutz unters Kinn) Der Bassist von Dunkelgrau?

ACHIM nimmt ebenfalls den Mund-Nasen-Schutz ab. Biene lag im Probenraum. Es war reiner Zufall, dass Boris vorbeigekommen ist. Er war seit Wochen nicht mehr da. (Kurzes Innehalten) Wo bist Du denn nur gewesen, Walid?

WALID fühlt sich schuldig. Ich war … (er blickt sich suchend nach Finn um) mit Finn zusammen.

WALID fleht Finn mit dem Blick an, zu ihnen zu kommen. FINN versteht, steht auf, greift sich einen der leeren Stühle, die um die Spielfläche herum stehen, und geht zu ihnen hin. ACHIM schaut den fremden jungen Mann ausdruckslos an.

ACHIM. Kennen wir uns, …?

FINN zieht seine Schutzmaske vom Gesicht und stellt sich vor. Finn, ich bin Finn.

FINN stellt seinen Stuhl neben Walid ab und setzt sich.

ACHIM. Biene hat mir noch nie von Ihnen erzählt, glaube ich.

FINN. Wir kennen uns erst kurz. Wie geht es ihr jetzt? Ist sie überm Berg?

ACHIM. Es war kritisch, weil sie so mager ist. Sie hat ja überhaupt nichts zuzusetzen.

FINN. Ich kenne das, ich war selbst mal magersüchtig.

ACHIM verwundert. Wollten Sie auch sterben?

FINN zuckt mit den Schultern. Es war mir egal, schätze ich.

ACHIM ist das völlig unverständlich. So jung, und nicht mehr leben wollen.

WALID mit Selbstvorwürfen. Ich hätte das merken müssen!

FINN. Und dann? Hättest Du sie eingesperrt?

ACHIM mit einem schwachen Lächeln. Biene lässt sich nicht einsperren. Sie ist störrisch wie ein Esel. Da hast Du keine Chance.

WALID. Sie braucht auf jeden Fall eine Therapie.

FINN. Wenn sie das will.

WALID. Sie ist schwer depressiv.

FINN. Oder hat nur keinen Bock mehr auf das Leben.

WALID schaut FINN verständnislos an.

ACHIM. Wie war denn das bei Ihnen? Hatten Sie auch „keinen Bock“ mehr auf das Leben?

FINN überlegt kurz. Mir war das Leben egal. Ich war lebenssatt. Ich hatte mich am Leben überfressen.

ACHIM kann es nicht glauben. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?

FINN. Neunzehn.

ACHIM glaubt, seinen Ohren nicht trauen zu können. Und wann hatten Sie dieses Gefühl der (Zäsur) Übersättigung?

FINN. Vor etwas mehr als einem Jahr.

WALID hofft, mehr über Finn zu erfahren. Wegen Lisa?

FINN blickt WALID eisig in die Augen.

ACHIM. Wer ist Lisa?

FINN ringt sich zu einer Antwort durch. Lisa ist (Zäsur) ein Schatten. Ich möchte nicht darüber sprechen.

ACHIM nickt verstehend. Wie haben Sie Ihren Hunger zurückgewonnen? Können Sie mir das sagen?

FINN schaut Achim an. Langsam. Durch Fasten.

ACHIM. Glauben Sie, Biene wird auch wieder hungrig werden?

FINN nickt unbestimmt. Das kann schon sein.

ACHIM betrachtet FINN mit einem Schimmer Hoffnung. Dann blickt er an ihm vorbei, so als habe er am Bühnenrand eine Person entdeckt.

ACHIM steht auf. Da hinten ist Bienes Ärztin. Vielleicht ist sie aufgewacht. (Blickt Walid und Finn an) Schön, dass ihr gekommen seid, (betont) ihr beide!

ACHIM zieht sich seine Schutzmaske über Mund und Nase und eilt in Richtung der imaginären Ärztin von der Bühne. WALID und FINN bleiben unentschlossen zurück.

WALID zögerlich, leise. Ich liebe Dich!

FINN ohne ihn anzuschauen, aber sanft. Ich weiß.

WALID vorsichtig. Ich habe Angst, dass es vorbei ist, bevor es richtig angefangen hat.

FINN ruhig. Du hast ständig Angst, Mann.

FINN steht auf. WALID greift hastig nach seiner Hand.

WALID. Wo willst Du hin?

FINN blickt in die Richtung, in die Achim verschwunden ist. Du sollst zu Achim kommen.

WALID folgt FINNs Blick. Er winkt Achim kurz zu, nach dem Motto „ich komme gleich!“. Ohne FINNs Hand loszulassen, steht er auf.

WALID besorgt. Kommst Du nicht mit?

FINN küsst Walid innig. Ich warte draußen. In Krankenhäusern wird mir schlecht.

WALID ist selig. Ich beeile mich! Ich komme bald nach!

WALID gibt FINN noch einen hastigen Kuss, dann zieht er sich seine Schutzmaske über Mund und Nase und eilt in Richtung Achim von der Bühne. FINN schlendert über den Laufsteg von der Spielfläche und verharrt einen Augenblick neben dem Schilderwald, um sich eine Zigarette anzuzünden. Dann dreht er das Hinweisschild „Sieville“ zu den Zuschauern und verlässt rauchend die Bühne.

 


Zwölfte Szene

KIM NERIUS betritt von links mit einem Buch die Bühne, geht auf die Spielfläche und setzt sich auf einen der Lehnstühle um zu lesen. Kurz darauf betritt CARLA SIEVEN mit ihrem Smartphone am Ohr aus dem Hintergrund die Bühne. Während sie spricht, geht sie weiter und betritt von rechts die Spielfläche ohne KIM wahrzunehmen.

CARLA ist erregt. Hören sie, ich bin die Mutter! Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was mit meiner Tochter ist! (Sie hört kurz zu) Sie müssen mir doch wenigstens sagen können, was sie hat. (Sie hört kurz zu) Das habe ich Ihnen doch schon tausend Mal erklärt: mein Mann hat mir eine Nachricht gesimmst: „Biene ist im Klinikum Sieventhal, rufe Dich später an!“ (Sie hört kurz zu) Biene ist Maya, Maya Blumenau! Sie liegt bei Ihnen auf der Intensivstation! (Sie hört kurz zu) Nein, mehr weiß ich nicht! (Sie hört kurz zu) Aber Sie müssen mir doch wenigstens … (Sie hört kurz zu) Ja! Ja, verdammt! (Der Gesprächsteilnehmer hat das Gespräch beendet) Fuck off! Du kannst mich mal! Was für eine Schlampe! (Voller Zorn schmettert sie ihr Smartphone zu Boden, so, dass es zerspringt) Verfluchte Scheiße!

CARLA steht da und rauft sich die Haare. Aufkommende Tränen erstickt sie im Keim. Sie schaut in den Himmel und dann wieder zu Boden, zu den Einzelteilen ihres Smartphones. KIM hat ihr Buch beiseitegelegt und ist an CARLA herangetreten. Sie kniet nieder und sammelt die Einzel-teile des Smartphones zusammen.

CARLA mehr verwundert als erschrocken. Kim! Was machst Du hier?

KIM blickt zu ihr hoch. Ich habe gelesen. Die Sieville-Charta. (Sie steht auf) Ist was mit Deiner Tochter?

CARLA. Maya liegt im Krankenhaus. Aber die wollen mir nichts sagen. Ich soll mit meinem Mann telefonieren.

KIM hält ihr die Einzelteile des Smartphones hin. Damit geht das nicht mehr.

CARLA entfährt ein verzweifeltes Lachen. Nein! Sieht nicht so aus. (Sie nimmt Kim die Scherben ab) Danke!

KIM. Kann es was Ernstes sein?

CARLA zuckt mit den Schultern. Ich weiß nicht. Das ist ja das Schlimme. Ich habe mich nicht mehr gekümmert. (Gepresst) Fuck!

KIM. Ruf Deinen Mann an. Du machst Dich ja verrückt!

CARLA. Das hab ich ja schon tausendmal probiert, aber immer nur die Mailbox erwischt.

KIM. Vielleicht ist er gerade bei eurer Tochter im Krankenhaus und spricht mit ihr.

CARLA. Oder sie wird operiert oder liegt im Koma oder ist schon nicht mehr unter uns!

KIM. Das ist doch Quatsch.

CARLA ist eigentlich wütend auf sich selbst. Was weißt Du denn davon! (Sie blickt auf die Scherben in ihrer Hand und gibt sie der verdutzten Kim zurück) Ich muss mir ein neues Smartphone besorgen!

CARLA eilt nach links von der Bühne. KIM steht etwas ratlos mit den Scherben in der Hand da. Von rechts betritt ALMA SIEVEN die Bühne. Sie sieht, dass KIM gerade gehen will, daher beeilt sie sich, KIM zu rufen.

ALMA winkt. Kim! Kim Nerius! Bitte warten Sie einen Moment!

KIM erkennt ALMA und gibt ihr Zeichen, dass sie nicht hetzen soll.

ALMA spricht laut während sie näher kommt. Wo ich Sie sehe, möchte ich die Gelegenheit nutzen. (Sie betritt von rechts die Spielfläche, und ist ein wenig außer Atem) Eine alte Frau ist kein D-Zug mehr! Danke, dass Sie auf mich warten!

KIM lächelt freundlich. Sie dürfen nicht so hetzen, ich habe Sie doch gesehen! Pusten Sie erst mal durch, ich habe Zeit! Wollen wir uns setzen?

ALMA atmet schwer. Das ist eine gute Idee!

KIM holt zwei der Stühle in die Mitte der Spielfläche. ALMA nickt ihr dankend zu und setzt sich. KIM nimmt anschließend neben ihr Platz.

ALMA immer noch kurzatmig. Ich renne schon den ganzen Tag. Aber ganz so flott wie früher geht´s nicht mehr! (Sie lacht kurz rauchig auf) Machen Sie Sport? Ich bin früher viel geschwommen, man hat mich kaum aus dem Wasser gekriegt.

KIM. Seit ich denken kann, mache ich Kampfsport.

ALMA mustert Kim. Erstaunlich.

KIM. Ich habe es schon immer gehasst, hilflos zu sein.

ALMA nickt. Verstehe. Hilflosigkeit hat etwas Erniedrigendes.

Es entsteht eine kurz Pause. ALMA schaut nachdenklich vor sich hin und KIM wartet darauf, dass sie ihr sagt, was sie von ihr will.

KIM bricht das Schweigen. Was möchten Sie denn mit mir besprechen?

ALMA ist ungerührt. Richtig, da war doch was! (Sie lacht kurz rauchig auf) Ich bin neugierig. Werden Sie meinen Mann und meine Tochter unterstützen?

KIM schaut ALMA fragend an.

ALMA ist enttäuscht. Heißt das „Nein“?

KIM versteht nicht. Das heißt, na klar, wenn ich weiß wobei.

ALMA. Hat Ihnen meine Tochter noch nichts erzählt? Sie haben doch gerade beieinander gestanden.

KIM weiß nicht, ob Alma schon eingeweiht ist, und will sie nicht unnötig erregen. Ich glaube, Carla ist momentan ziemlich gestresst. Sie hat was anderes im Kopf.

ALMA ist überraschend ungerührt. Ja, Herrgott, wegen Maya. Man kann das auch dramatisieren! Die besten Nerven hatte meine Tochter noch nie, müssen Sie wissen. Dabei hat mein Mann schon alles in die Wege geleitet. Morgen Abend ist Maya in Sieville. Hier ist ihre Familie, hier hat sie die beste Betreuung, hier kommt sie bestimmt wieder auf andere Gedanken.

KIM ist perplex. Sind Sie sicher, dass Carla das weiß?

ALMA überrascht. Etwa nicht?

KIM. Wenn ich es nicht total missverstanden habe, dann hat sie gerade mit dem Klinikum telefoniert. Es klang nicht so, als würde sie irgendetwas wissen. Sie wirkte richtig angefressen (zeigt Alma die Scherben von Carlas Smartphone).

ALMA schüttelt mit dem Kopf. Das ist typisch Carl in letzter Zeit. Er hat vergessen, seine eigene Tochter zu informieren. Ich muss ihm mal etwas gegen Vergesslichkeit verschreiben (lacht kurz rauchig). Ich bin immer noch im Stiftungsrat des Klinikums, müssen Sie wissen. Darum werde ich über alles stante pede informiert. Aber nun zu uns.

KIM. Sollten wir Carla nicht wenigsten eine kurze Info geben? Sie ist total in Sorge.

ALMA winkt ab. Sie ist ohnehin auf dem Weg zu meinem Mann. Sie haben gleich Jour Fixe, wie jeden Tag. (Mit unerwarteter Ironie) Da werden dann die Wohltaten der Foundation besprochen. Hat Ihnen Carla wirklich noch nichts verraten? (Wartet keine Reaktion ab) Mein Mann wird doch demnächst achtzig. Und zu diesem Anlass hat er sich etwas Besonderes in den Kopf gesetzt. Alte Männer sind eitler als alte Weiber! (Sie lacht) Er will eine Biographie. (Mit einem Augenzwinkern) Wie alle großen Persönlichkeiten! Aber es darf natürlich nichts Gewöhnliches sein. Kein Buch oder so. Eine gestreamte Serie über sein Leben. Video-Blog nennen das die jungen Leute heute, glaube ich. (Sie holt kaum Luft) Er hat sich das so vorgestellt: er reist an Orte, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Und an jedem Ort erzählt er eine kleine Geschichte und führt Gespräche mit Leuten aus dem Ort. Und auf diese Weise entsteht ein Mosaik aus Erinnerungen einerseits, aus der Reflektion der Gegenwart und ein paar Blicken in die Zukunft. (Sie versucht, auf Kims Gesicht eine Reaktion zu erkennen) Was halten Sie davon?

KIM ohne Begeisterung. Ein Vlog, okay! Kann man machen. Aber was ist mit Corona?

ALMA. Das ist der Knackpunkt. Korrekt! Und aus diesem Grund möchte mein Mann mit Sieville starten. Er möchte erzählen, wie hier alles angefangen hat, mit einigen Weggefährten plaudern und zusammen mit Carla und Wolf einen Blick in die Zukunft von Sieville werfen. (Sie versucht erneut, auf Kims Gesicht eine Reaktion zu erkennen, aber Kim hört ihr nur aufmerksam zu) Tja, und von hier aus will Carl dann zurückgehen in seinem Leben, Schritt für Schritt, bis er schlussendlich in Moorum landet, dem Ort seiner Geburt. (Zäsur) Wenn die Pandemie das zulässt.

KIM sachlich. Das ist doch ein Plan. Wie kann ich dabei helfen?

ALMA. Mein Mann möchte, dass das Gespräch mit Carla und Wolf über Sieville moderiert wird. Und Sie sind doch Journalistin. Noch dazu vertraut mit „Vlogging“.

KIM. Ich habe immer live gestreamt. Will Ihr Mann das auch?

ALMA lächelt unbestimmt und umgeht bewusst ein klares Nein. Es soll natürlich so wirken. Aber mein Mann ist ein Perfektionist.

KIM ist nicht überrascht. Dacht ich mir. Dann will er uns sicher auch ein Drehbuch schreiben.

ALMA bleibt unbestimmt. Nun ja, ein paar Absprachen sind natürlich notwendig. Es soll ja nicht dilettantisch wirken.

KIM überlegt kurz. Wie steht denn Carla dazu?

ALMA resolut, so als wären mit ihrer Antwort alle Fragen geklärt. Carla (Zäsur) ist die Vize-Präsidentin der Foundation.

KIM konkretisiert die Antwort. Und damit der Sache verpflichtet.

ALMA lächelt. Korrekt.

KIM nickt in sich hinein. Ich werde mich mit Carla abstimmen, wenn das okay ist.

ALMA ist zufrieden. Das ist „okay“. (Sie steht auf) So, meine Liebe!

KIM steht ebenfalls auf.

ALMA. Ich freue mich, dass wir uns so gut verstehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das Glück genieße, hier in Sieville so viele verschiedene, interessante Menschen treffen zu dürfen.

KIM fällt spontan keine bessere Antwort ein. Ja, das ist schön.

ALMA. Ich werde Sie demnächst einmal zum Tee einladen, dann können Sie auch meinen Mann noch besser kennenlernen.

KIM unverbindlich. Darauf freue ich mich, (Zäsur) Alma.

ALMA wendet sich halb zum Gehen. Ade! Bis bald, meine Liebe!

KIM nimmt den Gruß halb flüsternd auf. Ade.

 

KIM beobachtet, wie ALMA nach links die Spielfläche und die Bühne verlässt. Sie bleibt noch kurz unschlüssig stehen und verlässt schließlich nach rechts gehend die Spielfläche und die Bühne.


Dreizehnte Szene

WALID JESSEN betritt zusammen mit FINN GUTH aus dem Hintergrund rechts die Bühne. Sie kommen aus dem Klinikum Sieventhal. WALID geht rasch voran. Er eilt rechts an der Spielfläche vorbei und betritt, ohne den Schilderwald zu beachten, den Laufsteg, der zu seiner Wohnung führt. FINN folgt ihm in einigem Abstand. Er schaut sich interessiert in der Gegend um und an den imaginären Häusermauern empor.

FINN mit einem Hauch von Sarkasmus. Coole Gegend! Habt ihr euch absichtlich dieses „Romantik-Viertel“ ausgesucht?

WALID bleibt am Ende des Laufstegs stehen. Mayas Bandkollegen wohnen alle hier im Umkreis von ein paar hundert Metern verstreut. Der Probenraum ist auch gleich um die Ecke.

Während FINN noch den Hinterhof inspiziert, betritt WALID die Spielfläche – seine und Mayas gemeinsame Wohnung. WALID stellt seinen City Bag bei den Stühlen in der Mitte der Spielfläche ab und geht links wieder von der Spielfläche und der Bühne ab.

FINN murmelt ungläubig. Geiler Hinterhof!

FINN kommt zum Schilderwald und bemerkt, dass dort noch das falsche Hinweisschild zu den Zuschauern zeigt. Er macht eine Geste zum Publikum, die so viel sagt, wie „das wäre eigentlich sein Job gewesen“. Dann dreht er das Hinweisschild „Sieventhal“ zu den Zuschauern und betritt ebenfalls über den Laufsteg die Spielfläche. Er schaut sich in dem fremden Zimmer um. Aus dem Off hört man das Geräusch einer Toilettenspülung und das Plätschern von Wasser in ein Waschbecken.

FINN kopfschüttelnd zu sich selbst. Hier wohnen echte Wohnästheten.

FINN entdeckt auf dem Stuhl an der Rückwand das Buch, das KIM dort liegengelassen hat. Interessiert inspiziert er es. Dann kommt WALID von links zurück auf die Bühne und die Spielfläche. Er hat eine Flasche Schnaps dabei.

FINN wirf einen kurzen Blick auf Walid. Krass, was Du so liest. (Mit süffisantem Unterton liest er den Titel und den Untertitel vor) „Sieville. Unsere Charta, unsere Geschichte, unsere Mission“.

WALID ist blass, er bleibt unschlüssig am Ende der Stufen stehen. Das hat mir Maya geliehen.

FINN mustert ihn und die Flasche. Willst Du Dich besaufen?

WALID wirkt hilflos. Das würde ich am liebsten. Aber ich vertrage leider absolut keinen Alkohol. Gar nichts. Null. (Zäsur) Was kann ich bloß für Maya tun?

FINN. Nichts. Da sein. (Er legt das Buch beiseite, geht zu Walid und nimmt ihm die Flasche aus der Hand) Gib mal her, bevor Du Dich vergiftest! (Er öffnet die Flasche und nimmt einen kräftigen Schluck) Bäh! Das ist ein scheiß Gesöff! (Er lacht)

WALID will sich nicht damit abfinden. Kann man wirklich nur da sein?

FINN. Du kannst nichts machen. Absolut nichts!

WALID. Das ist frustrierend!

WALID setzt sich auf einen der Stühle in der Mitte der Spielfläche. FINN geht hinter ihm in die Hocke, so dass ihre Köpfe auf gleicher Höhe sind.

FINN zitiert wieder Walt Whitman. „Behold, I do not give lectures or a little charity, / When I give I give myself“.

WALID. Walt Whitman?

FINN nickt. Ja.

Sie legen ihre Köpfe aneinander und schweigen zusammen.

WALID bricht das Schweigen. Hast Du manchmal Angst (Zäsur) vorm Leben?

FINN überlegt kurz und steht auf. Vor Menschen. (Zäsur) Manchmal. (Er setzt sich auf den freien Stuhl neben Walid) Aber im Moment nicht.

WALID sanft ironisch. Vielleicht morgen.

FINN grinst. Ich sag Dir dann bescheid. (Er nimmt noch einen Schluck aus der Flasche und stellt sie dann angewidert beiseite.)

WALID wird wieder ernst. Ich komm damit nicht klar! Maya hat alles. Andere haben nichts.

FINN. Was ist denn „alles“ für Dich?

WALID. Sie kann studieren und Musik machen und reisen und alles kaufen, was so geht. Oder sie kann das alles lassen. Ganz nach Laune.

FINN. Glaubst Du, man kann nur glücklich sein, wenn man etwas hat? Und darf nur unglücklich sein, wenn man nichts hat?

WALID zitiert Erich Fromm. „Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe?“

FINN ist begeistert. Erich Fromm. Du liest ja doch noch was anderes als die Sieville Charta!

WALID. Weißt Du überhaupt, was Sieville ist?

FINN zuckt mit den Schultern. Absolut keine Ahnung!

WALID. Mayas Großeltern leben dort.

FINN. Ein Altenheim?

WALID. Und ihre Mutter.

FINN. Kein Altenheim!

WALID liebevoll empört. Du nimmst mich nicht ernst!

FINN muss grinsen. Doch! Ich weiß wirklich nicht, was Sieville ist.

WALID. Du hast noch nie von der Sieville International Foundation gehört?

FINN macht eine Geste, die sagt: „Sorry, ich hab keine Ahnung!“

WALID kann es nicht glauben. Hammer! Aber die Siecram Relational Software Corporation sagt Dir was.

FINN. Jo, das sagt mir was. Fetter Konzern!

WALID. Das ist Mayas Großvater: Carl Sieven.

FINN rutscht demonstrativ vom Stuhl auf den Boden. Leck mich fett! Einer der reichsten Ärsche der Welt ist Mayas Großvater! Damit ist ja klar, warum Maya ihre Depri hat!

WALID lässt sich neben Finn auf dem Boden nieder. Ist das Dein Ernst?

FINN schaut Walid ungläubig an. Möchtest Du der Enkel von so einem Multimilliardärowitsch sein? Kein Wunder, dass sich Maya in dieses Loch verflüchtigt hat.

WALID gekränkt. Das ist kein „Loch“!

FINN. Egal! Ich kann verstehen, dass sich Maya mit der Familie scheiße fühlt.

WALID versteht nicht. Jetzt komm ich nicht mehr mit.

FINN liebevoll ironisch. Soll ich Dir den Erich Fromm noch mal zum Wiederlesen leihen?

WALID winkt ab. Maya ist erst in letzter Zeit so unterirdisch drauf. Das hat nichts mit ihrem Großvater zu tun. Das macht dieses verfickte Corona.

FINN. Corona geht vorbei, der Druck von ihrer Sippe bleibt.

WALID. Was ist, wenn Maya Recht hat, und sie finden keinen Impfstoff? Gegen AIDS gibt´s auch noch keine Impfung.

FINN. Gegen Verblödung kannst Du Dich auch nicht impfen lassen.

WALID ist schon wieder gekränkt. Vielen Dank!

FINN leicht genervt. Du ziehst Dir auch jeden Schuh an!

WALID. Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass Du ernsthaft an mir interessiert bist.

FINN schaut ihm direkt ins Gesicht. Walid, ich mag Dich! Der Sex mit Dir ist außerirdisch. Kann sein, dass ich Dich irgendwann auch lieben werde: wenn Du mir Zeit gibst und nicht immer nur in Katastrophen denkst! (Er steht auf und hält ihm die Hand hin) So, und jetzt will ich Dein Schlafzimmer kennenlernen!

WALID schaut ihn von unten an, überlegt, ergreift dann die ausgestreckte Hand und lässt sich von FINN hochziehen.

WALID schmiegt sich an Finn und flüstert. Du willst doch bloß Sex.

FINN grinsend. Was sonst?

WALID macht kurz ein beleidigtes Gesicht, grinst dann breit, rennt los und zieht Finn hinter sich her. Ich auch!

WALID und FINN laufen zusammen nach links von der Spielfläche und von der Bühne ab.

 


Vierzehnte Szene

Von rechts betritt ACHIM BLUMENAU die Bühne. Er trägt eine stabile Gartenliege herein. Zudem hat er noch eine leichte Decke und eine „abgeliebte“ Biene Maja als Stofftier bei sich. Mit den Utensilien geht ACHIM zu dem Laufsteg hinüber. Rechts neben dem Laufsteg, nahe am Bühnenrand, baut er die Gartenliege mit aufgestelltem Rückenteil so auf, dass eine Person mit Blick ins Publikum darin Platz nehmen kann. Dann breitet er die Decke auf der Liege aus und kuschelt die Biene Maja in einen Zipfel der Decke ein. Anschließend geht ACHIM zum Schilderwald, den er eine Weile wehmütig betrachtet. Schweren Herzens dreht er das Hinweisschild „Sieville“ zu den Zuschauern. Letztendlich wendet er sich zum Gehen. Auf seinem Weg rechts an der Spielfläche vorbei dreht er sich noch ein paar Mal zur Gartenliege um und geht schwermütig weiter in den Hintergrund und schließlich von der Bühne ab.

Kurze Zeit später betritt MAYA BLUMENAU von rechts die Bühne. Sie trägt ein schlichtes weißes Nachthemd mit Spaghettiträgern, in dem sie noch dünner und blasser aussieht, eine weite Strickjacke und dicke Wollsocken. In einer Hand hält sie ihr Smartphone. MAYA wirkt verloren. Unsicher schaut sie sich um, so, als müsse sie sich erst orientieren. Dann geht sie zu der Gartenliege hinüber. Sie betrachtet die Biene Maja und schüttelt mit dem Kopf. Sie befreit das Stofftier aus der Decke und legt es neben der Liege auf den Boden. Dann setzt sie sich in die Liege hinein. Sie schlägt die Deckenenden von beiden Seiten um ihre Beine und Hüfte. Maya seufzt unzufrieden. Sie legt ihren Kopf nach hinten gegen die Rückenlehne und lässt ihren Blick über den (Bühnen-)Himmel schweifen.

Von links betritt CARLA SIEVEN die Bühne. Sie wirkt ernst und angespannt. Zunächst betritt sie von links die Spielfläche. Dann geht sie zum Laufsteg. Vom Rand der Spielfläche aus betrachtet sie eine Weile ihre Tochter. Dann geht sie über den Laufsteg langsam zu ihr hin, intensiv darüber nachdenkend, wie sie MAYA begegnen soll.

CARLA vorsichtig. Hallo, Maya! Gut, dass Du hier bist.

MAYA zerbrechlich aber bestimmt. Ich wollte gar nicht hier sein.

CARLA setzt sich neben Maya auf den Laufsteg. Ich weiß. Ich habe mit Achim telefoniert.

MAYA. Wie geht es ihm?

CARLA. Er macht sich Sorgen. Und Vorwürfe. Er hat Dich dazu überredet, nach Sieville zu fliegen, meint er. Und jetzt weiß er nicht mehr, ob das richtig war.

MAYA greift nach der Stoff-Maya neben der Liege und zeigt sie Carla. Achim hat mir die alte Maja in den Koffer geschmuggelt. Ich wusste gar nicht, dass sie noch da ist. (Sie lässt das Stofftier wieder zu Boden fallen) Ich glaube, Achim ist einsam.

CARLA. Und Du?

MAYA will mit Carla nicht über ihre wahren Gefühle sprechen. Ich bin nicht einsam. Ich habe Walid (Zäsur) und meine Band. Wir sind zusammen wie Familie. Wir feiern alle Geburtstage zusammen (Zäsur) und Weihnachten und Ostern.

CARLA glaubt es nicht. Das klingt schön.

MAYA glaubt es selbst nicht. Ist es auch.

Es entsteht ein Moment des Schweigens. MAYA angelt die Stoff-Maja wieder vom Boden und zupft etwas unschlüssig an ihr herum.

CARLA will vorsichtig den Gesprächsfaden wieder aufnehmen. Weißt Du noch, wann Du sie bekommen hast?

MAYA wirft das Stoff-Tier weg. Ich habe sie noch nie gemocht!

CARLA zermartert sich den Kopf, wie sich ein Gespräch entwickeln ließe. Die Absage eurer Konzerte hat Dich und Deine Bandkollegen bestimmt sehr frustriert. Ich kann mir vorstellen, dass ihr in ein ziemlich schwarzes Loch gefallen seid.

MAYA mit Trotz. Den Auftritt beim Sieventhal Open Air 2019 kann uns keiner mehr nehmen. Der war gigantisch. Besser als jeder Orgasmus! Zwanzigtausend Menschen, die deine Musik hören wollen, völlig bei dir sind. Keinen anderen Gedanken denken, keinen anderen Rhythmus spüren als deine Drums. Ekstase pur!

CARLA sehr vorsichtig. Und warum möchtest Du das nicht noch viele weitere Male erleben? Mit nur einem Orgasmus ist frau doch auch nicht zufrieden.

MAYA gefällt nicht, in welche Richtung ihre Mutter das Gespräch lenken will. Schlechter Versuch.

CARLA. Ich will Dich einfach nur verstehen.

MAYA. Warum?

CARLA halb fragend, halb feststellend. Weil Du meine Tochter bist.

MAYA schweigt. CARLA betrachtet ihre Tochter sorgenvoll.

CARLA versucht es mit einem anderen Thema. Carl macht mir Sorgen. Seit dem Tod von Olof ist er verändert. Er vermisst ihn, glaube ich, sehr. Mit Olof hatte Dein Großvater zuletzt mehr Zeit verbracht als mit Alma. (Zäsur) Kannst Du Dich noch an Olof erinnern?

MAYA antwortet mit einem kaum sichtbaren Schulterzucken.

CARLA. Ich glaube, es gibt niemanden, der mehr von den Menschen wusste als Olof. Er hatte ein unglaubliches Einfühlungsvermögen. Olof hätte Dir viel besser helfen können als jeder andere.

MAYA entschieden. Ich brauche keine Hilfe.

CARLA vergisst ihre Vorsicht. Du wolltest nicht mehr leben.

MAYA. Na, und?

MAYA und CARLA schauen sich lange in die Augen.

MAYA. Für Dich ist das natürlich krank.

CARLA möchte nicht, dass das Gespräch in einem Streit mündet. Ich kann das nicht beurteilen. Ich hatte nie den Wunsch, mein Leben zu beenden.

MAYA unzugänglich. Freu Dich.

CARLA. Vielleicht bin ich zu weit weg von den tatsächlichen Problemen dieser Welt. Wahrscheinlich hat Wolf Mayer damit recht, dass Sieville mein Elfenbeinturm ist. Wolf hat mit so vielen Dingen recht. Er ist viel zupackender, (überlegt kurz) viel lösungsorientierter als ich.

MAYA. Hast Du mit ihm ein Verhältnis?

CARLA völlig konsterniert. Was?

MAYA. Oder ist Dein Elfenbeinturm auch ein Kloster?

CARLA. Wie kommst Du darauf?

MAYA absichtlich derb. Irgendjemand wird schon da sein, um das Loch zu stopfen.

CARLA steht auf. Das ist jetzt nicht Dein Ernst!

MAYA. Achim ist keusch wie ein Mönch, seit Du nicht mehr da bist.

CARLA kämpft hilflos um ihre Haltung. Wir sind ja auch nicht geschieden. Das wollten wir auch nie. Wir sind verheiratet. Und wir sind Deine Eltern.

MAYA. Auf welcher Droge bist Du eigentlich?

CARLA möchte keine Tränen zeigen. Maya, Du bringst mich aus der Fassung. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich finde es entsetzlich, wenn ein Mensch nicht mehr leben möchte, erst recht, wenn er jung ist, und noch so viel vor sich hat. Ich habe mein eigenes Leben immer als grandioses Geschenk betrachtet, als Sechser im Lotto, als irren Zufall. Ich wollte immer alles auskosten bis zum Ende, und ich möchte ur-ur-alt werden. Es macht mich fassungslos, dass meine eigene Tochter nicht mehr leben möchte. (Geht neben der Liege in die Hocke und fleht Maya an) Bitte, bitte, Maya, gib mir eine Chance, Dich zu verstehen!

Es entsteht eine fast unerträgliche Stille. MAYA betrachtet ihre Mutter und schaut wieder weg. Es arbeitet in MAYA. Sie überlegt, ob sie mit CARLA wirklich über ihre Gefühle sprechen möchte. Dann setzt sich MAYA zurecht, zieht ihre Decke glatt und atmet sichtbar durch.

MAYA beginnt leise, tastend. Die Welt (Zäsur) macht mir Angst.

CARLA setzt sich wieder auf den Laufsteg zurück und hört MAYA aufmerksam zu.

MAYA. Kennst Du das Social Scoring System in China? (Sie schaut Carla an, die nickt.) Ich konnte das nicht glauben, als mir Walid davon erzählt hat. Aber dann habe ich Berichte im Fernsehen gesehen und im Web recherchiert. Die Menschen werden total überwacht. Für gutes Verhalten bekommen sie Pluspunkte, für Fehlverhalten werden ihnen Punkte abgezogen. Jeder Bürger hat sein staatlich kontrolliertes Punktekonto.

CARLA bestätigt betroffen. Ja, in China laufen derzeit mehr als siebzig Pilotprojekte für so ein Rating-System der Bevölkerung.

MAYA. Aber das ist gruselig! Aus allen digitalen Systemen werden Daten über dich gesammelt und in dein persönliches Rating umgewandelt. Die wissen, ob du kreditwürdig bist oder kurz vor der Pleite stehst, die checken dein Strafregister, deine privaten Kontakte und dein Verhalten in der Öffentlichkeit. Jeder Winkel, jede Straße wird mit Kameras überwacht, damit du über Gesichtserkennung auch dann noch zu identifizieren bist, wenn du dein Smartphone nicht dabei hast. Und wenn du dich nicht staatskonform verhältst, dann kriegst du Punkteabzug. Und wenn dein Punktekonto zu niedrig ist, dann hast du keine Chance mehr auf einen Ausbildungsplatz oder einen neuen Job. Wills du eine neue Wohnung? Kannst du vergessen, wir vermieten nicht an Punkte-Looser! Du willst Sport bei uns im Verein machen? Dann kümmere dich gefälligst um ein angemessenes Rating! (Zäsur) Nein, danke! In einer solchen Welt will ich nicht leben!

CARLA ohne Überzeugungskraft. Aber das ist China.

MAYA. Auch in Deutschland kann man längst ein Ranking aus deinen Schufa-Daten, deinen Bewegungsdaten, aus deiner Krankenakte und was weiß ich noch alles erstellen. Und wenn man das kann, dann wird es auch gemacht. (Sie hält Carla ihr Smartphone vors Gesicht) Weißt Du, wer uns gerade abhört? (Spricht in ihr Smartphone) Hallo? Hallo, hören Sie uns? Haben wir Dinge gesagt, die euch Arschlöchern nicht passen? Dann zieht uns mal schön Punkte ab! (Sie lässt das Smartphone wieder sinken) Die ganze Welt ist doch ein einziger Überwachungsstaat geworden. Darauf hab ich keinen Bock!

CARLA weiß, wie schwach ihre Argumente auf Maya wirken. Ich glaube nicht, dass so etwas in einer funktionierenden Demokratie möglich ist.

MAYA. Darum wird die Demokratie ja auch gerade abgeschafft. Corona ist doch der perfekte Vorwand dafür!

CARLA. Wie meinst Du das?

MAYA. Denk doch mal nach: erst werden unsere Grundrechte abgeräumt, dann werden uns Apps aufs Smartphone geschmuggelt, mit denen jeder persönliche Kontakt nachvollzogen werden kann. Unsere Wohnungen sind sowieso schon mit Smart-Home und Alexa perfekt für die totale Kontrolle eingerichtet.

CARLA ist betroffen von den Vorstellungen ihrer Tochter. Glaubst Du das ernsthaft?

MAYA. Das ist nicht neu für mich, dass Du mich nicht ernst nimmst.

CARLA mit schwachem Protest. Ich nehme Dich ernst! (Zäsur) Aber ich teile Deinen Pessimismus nicht. (Sie überlegt) Wir müssen auf die Demokratie aufpassen. Das sehe ich genauso wie Du. Ich sehe aber auch viele ermutigende Beispiel dafür, dass wir mit unseren Sorgen nicht alleine sind. Ich glaube nicht, dass wir den Kampf bereits verloren haben. Gerade in Deutschland wissen doch die Menschen, was es bedeutet, in einem Überwachungsstaat zu leben.

MAYA. Das glaubst auch nur Du! Kuck Dir doch mal die braune Scheiße an, die überall in Deutschland abläuft. Davor hab ich richtig Angst! Bashing gegen Ausländer. Hetze gegen Schwule. Selbst in einer Weltstadt wie Berlin werden auf offener Straße Juden angefeindet und Schwule verprügelt. Rassismus ist so normal wie das verlogene Amen in der Kirche! Die letzten Wahlergebnisse in Ostdeutschland haben mich absolut geschockt. Hör mir auf mit Deutschland! Arroganz und Blindheit, das ist für mich Deutschland.

CARLA. Für mich ist Deutschland nicht perfekt, aber ich halte es für eine stabile Demokratie und einen Rechtsstaat.

MAYA. Dann geh mal ohne Mund-Nasen-Schutz auf eine Corona-Demo, dann kannst Du den deutschen Rechtsstaat in seiner ganzen beschissenen Herrlichkeit erleben. (Sie wird zornig bei der Erinnerung) Vor meinen Augen ist ein blinder Mann von mehreren Polizisten in Kampfausrüstung eingekesselt worden. Er hat nicht gleich seinen Ausweis gezeigt. Daraufhin haben ihm zwei Gorillas die Arme auf den Rücken gedreht. Der Blinde hatte seinen Ausweis mit anderen Papieren in der Hosentasche. Er hat gebettelt, „bringt mir die Ordnung meiner Papiere nicht durcheinander, ich hole den Ausweis selber raus!“. Keine Gnade. Die Bullen haben ihn auf den Boden gezwungen und ihm seine Papiere aus der Hose gerissen. (Zäsur) Der Mann war blind. Der Mann war hilflos. Von dem Mann ging absolut keine Gefahr aus. Aber die coolen Repräsentanten des deutschen Rechtsstaates haben ihn behandelt wie einen Terroristen, der eine Bombe bei sich hat.

CARLA. Das klingt scheußlich. (Zäsur) Das ist übergriffig und aus meiner Sicht ein völlig unverhältnismäßiges Verhalten. Aber hast Du tatsächlich den Eindruck, dass so ein Vorgehen mittlerweile zum Normalverhalten der deutschen Polizei geworden ist?

MAYA. Für Dich gibt es immer ein Aber!

CARLA. Ich scheue mich einfach davor, Einzelfälle zur Norm zu erheben.

MAYA. Es sind aber keine Einzelfälle mehr.

CARLA. Das wäre schlimm.

MAYA. Es ist schlimm! (Zäsur) Trotzdem möchte ich wieder nach Hause.

CARLA ist erschrocken. Du bist doch gerade erst angekommen.

MAYA macht wieder dicht. Ich halte es hier nicht aus!

CARLA. Willst Du Dich nicht erst mal richtig erholen?

MAYA. Ich brauche keine Erholung. Und ich will nicht eingesperrt sein!

CARLA. Du bist nicht eingesperrt.

MAYA. Ich fühle mich aber so! Ihr habt mich doch nur hierher geholt, um auf mich aufzupassen. Damit ich es, oh-gott-oh-gott, nicht noch ein zweites Mal probiere.

CARLA hat Angst um Maya. Willst Du das denn?

MAYA bleibt entschlossen. Das geht Dich gar nichts an! Das geht niemanden was an. Nur mich! Mich ganz allein! Das ist mein Körper und mein Leben!

CARLA kämpft gegen ihre Angst. Es gibt aber Menschen, die Dich lieben, Maya! Menschen, die Dich nicht verlieren möchten.

MAYA bleibt abweisend. Schön, dass es die gibt. Du kannst ihnen sagen, dass sie sich entspannen sollen. Vorerst habe ich nicht die Absicht, mich abzumurksen. Eine Weile möchte ich noch einigen Arschlöchern ordentlich auf den Sack gehen. Aber dazu muss ich an die Front, und nicht mit Dir im Elfenbeinturm verschimmeln.

CARLA ist nur mäßig beruhigt. Wie das klingt: „an die Front“!

MAYA möchte das Gespräch beenden. Ich bin jetzt müde.

CARLA eher unwillig. Gut, dann lasse ich Dich jetzt schlafen. Es war ein langer Tag.

CARLA zögert noch einen Augenblick, dann steht sie auf.

CARLA kann den Seelenzustand ihrer Tochter nicht akzeptieren. Maya! (Maya hat die Augen geschlossen. Carla erkennt, dass es jetzt keinen Zweck hat, das Gespräch fortzusetzen) Schlaf gut.

CARLA schaut MAYA an, die sich schlafend stellt, und geht dann langsam über den Laufsteg zurück auf die Spielfläche. Auf der Spielfläche begegnet ihr KIM NERIUS, die kurz zuvor von links die Bühne und die Spielfläche betreten hat.

KIM wirkt „busy“. Carla! Ich habe Dich gesucht. Hast Du einen Moment?

CARLA muss sich erst noch von dem Gespräch mit Maya lösen. Ich wollte gerade an den Strand, mir ein bisschen die Beine vertreten.

KIM. Darf ich mitkommen?

CARLA. Ja, natürlich. Was gibt es denn?

KIM. Ich wollte mit Dir noch mal den Ablauf für die Talksendung mit Deinem Vater durchgehen. Willst Du wirklich, dass wir einen Live-Stream davon machen?

CARLA. Lass uns das am Stand besprechen, ich brauch jetzt frische Luft.

Mit dem folgenden Dialog verlassen CARLA und KIM nach rechts die Spielfläche und die Bühne.

CARLA. Ich komme gerade von Maya.

KIM ist es unangenehm, dass sie daran nicht gedacht hat. Ja, klar! Bescheuert von mir! Wie geht’s ihr denn?

CARLA. Sie wirkt körperlich einigermaßen stabil, aber ich komme nicht an sie heran. Sie hat eine derart negative Weltsicht. Ihr Vertrauen in den Staat und staatliche Institutionen ist anscheinend grundlegend beschädigt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dafür in unseren Familien eine Entsprechung gibt. Weder bei Achim, noch in meiner Familie. Das ist alles ziemlich stressig momentan.

KIM. Fühlst Du Dich überhaupt in der Lage, den Talk mitzumachen? Wir können das auch verschieben.

CARLA. Da kennst Du meinen Vater aber schlecht!

CARLA und KIM haben die Bühne verlassen.


Fünfzehnte Szene

Von links betritt WOLF MAYER die Bühne und die Spielfläche. Er stellt die drei vorhandenen Lehnstühle im Zentrum der Spielfläche auf: einen in die Mitte und die beiden anderen in einem leichten Bogen links von dem mittleren. Dann verlässt er die Spielfläche nach rechts, um zwei weitere Stühle auf die Spielfläche zu holen. Diese stellt er in einem leichten Bogen rechts von dem mittleren auf, gegenüber der links stehenden Stühle. Die Lehnstühle bilden jetzt quasi den „optischen Gesprächsbogen“ für den ersten Vlog aus Sieville.

Aus dem Hintergrund rechts betritt CARL SIEVEN die Bühne. Er fängt WOLF MAYER ab, der die Spielfläche nach rechts gehend verlassen hat.

CARL. Wolf! Warte einen Moment!

WOLF wartet am Ende der Stufen zur Spielfläche auf CARL.

CARL hat Wolf erreicht. Ich muss Dich noch mal unter vier Augen sprechen. (Er blinzelt an Wolf vorbei auf die Spielfläche) Sind die Frauen schon da?

WOLF. Nein, wir haben aber auch noch etwas Zeit.

CARL. Das ist gut! (Er weiß nicht so recht, wie er anfangen soll) Was soll ich sagen, ich mache mir ein bisschen Sorgen.

WOLF interpretiert falsch. Um Maya. Das ist doch klar.

CARL. Um Maya gewiss auch, aber darum geht es mir jetzt nicht. (Er überlegt kurz) Ich fürchte einfach, dass Carla auf Anthony Greyde und auf die Altersforschung zu sprechen kommen will. Coram publico sozusagen.

WOLF spielt den Unwissenden. Coram publico?

CARL. Du brauchst Dich nicht blöd stellen, Wolf. Ich weiß natürlich, dass Carla mit dieser (abschätzig) „Journalistin“ zusammen einen Live-Stream plant.

WOLF. Einen Live-Stream?

CARL. Gewiss. (Zäsur) Ich frage mich bloß, was mich mehr kränkt: dass mich meine eigene Tochter hintergeht, oder dass sie mich für dumm verkaufen will.

WOLF will die Verdächtigung nicht bestätigen. Wenn Carla gegen Deine Absicht einen Live-Stream organisiert hat, dann ist das allerhöchstens ein Missverständnis. Genau. Carla hat es, glaube ich, nicht nötig, Dich zu hintergehen. Sie ist die Einzige in Sieville, die Dir ihre Meinung jederzeit unverschlüsselt vor den Latz knallt. Da bin selbst ich noch etwas (kurze Zäsur) zurückhaltender.

CARL. Humbug! Du musst sie nicht in Schutz nehmen. Ich weiß, was ich weiß! Und ich sage Dir: ich lasse es nicht zu, dass Carla unsere Foundation vor aller Welt diskreditiert! Wenn es nötig ist, werde ich meine eigene Tochter unangespitzt in den Boden rammen!

WOLF ist auf Carlas Seite. Ich weiß nicht, warum Du mir das erzählst, Carl, aber meines Wissens, kann man eine Person oder eine Sache nur mit einer Lüge diskreditieren. Und das weiß ich sicher: Carla lügt nicht. Nicht, wenn ihr eine Sache wirklich am Herzen liegt. Und Sieville ist für Carla einen Herzensangelegenheit. Genau. (Zäsur) Wir sehen uns auf dem Podium, Carl!

WOLF geht nach rechts von der Bühne ab. CARL ist wütend, dass ihn WOLF einmal mehr so stehen lässt. Er wirkt unentschlossen, geht dann aber auf die Spielfläche und nimmt auf dem ersten Stuhl rechts außen Platz.

Von links betritt KIM NERIUS die Bühne. Sie trägt einen hellen modernen Hosenanzug und hat einen Stapel Moderationskarten mit dem Sieville-Logo auf den Karten-Rückseiten dabei.

KIM während sie auf dem Stuhl in der Mitte Platz nimmt. Hallo, Carl, schön dass Sie schon da sind! Kommen Sie bitte direkt an mein linke Seite? Dort, wo sie jetzt sitzen, ist Almas Platz. Carla und Wolf sitzen hier rechts von mir.

Schweigend wechselt CARL den Platz und rückt auf den Stuhl direkt neben KIM vor.

KIM lächelt. Perfekt. Haben Sie noch Fragen zum Ablauf?

CARL etwas unwirsch. Das ist ja nicht mein erstes Interview.

KIM. Dann wollen wir mal hoffen, dass die anderen auch gleich da sind.

Während KIM noch einmal ihre Moderationskarten überprüft, betritt WOLF MAYER zusammen mit ALMA SIEVEN von links die Bühne und die Spielfläche. Alma hat sich bei WOLF untergehakt. CARL steht zur Begrüßung seiner Gattin auf.

CARL lächelt. Hallo, my heart, Du sollst neben mir sitzen.

KIM ist ebenfalls aufgestanden. Absolut richtig: Alma bitte links außen. Und Wolf, Sie nehmen bitte den Platz gegenüber von Alma, rechts außen von mir.

WOLF versucht die Stimmung zu lockern. Das passt, das war auch früher meine Position beim Fußball. Genau.

Während sich ALMA und WOLF auf ihre Plätze begeben, geht KIM noch rasch zum Schilderwald und dreht das Hinweisschild mit der Aufschrift „WWW“ zu den Zuschauern. Zwischenzeitlich hat MAYA BLUMENAU wieder die Augen geöffnet und nimmt jetzt ihr Smartphone zur Hand, um den Live-Stream aus Sieville zu verfolgen. KIM gibt MAYA ein verschwörerisches Zeichen und MAYA antwortet darauf mit einem bemühten aber leicht verkniffenen Nicken.

KIM geht zurück zu ihrem Platz. Gleichzeitig betritt CARLA SIEVEN von rechts die Bühne und geht weiter bis zur Spielfläche. CARLA trägt eine helle, figurbetonte Jeanshose, eine dunkel-blaue kragenlose Bluse und Sneakers. In ihrem Gefolge betreten auch ACHIM BLUMENAU, WALID JESSEN und FINN GUTH von rechts die Bühne. ACHIM sucht sich einen Stuhl rechts im Hintergrund. Dort setzt er sich hin und schaltet sein Tablet ein, um ebenfalls den Live-Stream aus Sieville zu verfolgen. WALID und FINN gehen an den äußersten Bühnenrand vorne recht. Dort stellen sie ein Laptop auf einen Stuhl und klappen es auf. Dann hocken sie sich vor dem Stuhl zusammen auf den Fußboden, um so den Live-Stream zu verfolgen.

Während CARLA die Spielfläche betritt und ihren Platz zwischen KIM und WOLF einnimmt, wird die Spielfläche in ein helles Scheinwerferlicht getaucht. Gleichzeitig verdunkelt sich der restliche Bühnenraum, so, dass die Monitore der Endgeräte von MAYA, ACHIM, WALID und FINN im Dunkeln schimmern.

KIM beginnt launig ihre Moderation. Liebe Netzgemeinde, liebe Freunde, heute seid ihr Gäste einer ganz besonderen Premiere: pünktlich zu seinem achtzigsten Geburtstag öffnet Carl Sieven, Mitbegründer der Siecram Relational Software Corporation und nicht zuletzt eine der reichsten „Very Important Person“ der Erde, zusammen mit seiner Familie und mit euch sein allererstes Video-Tagebuch. (Sie wendet sich an Carl) Carl, was hat Sie dazu veranlasst, im hohen Alter noch unter die „Vlogger“ zu gehen?

CARL mit einer Mischung aus Ironie und Selbstherrlichkeit. Nun ja, die wirklich „wichtigen“ Leute schreiben heutzutage ja bereits mit Ende zwanzig ihre erste Autobiographie. Dagegen bin ich ein echter Waisenknabe. Ich habe es bis heute nicht einmal zu einer ersten Druckfahne geschafft. Dafür bin ich wohl einfach noch zu viel beschäftigt bisher.

KIM. Sie sind noch immer Präsident, der von Ihnen selbst gegründeten Sieville International Foundation. Das klingt wirklich nicht nach Ruhestand.

CARL. Nein, ganz im Gegenteil. Ich sitze jeden Tag noch viele Stunden an meinem Schreibtisch, ich nehme an Besprechungen, an Jour Fixen und an Video-Konferenzen teil. Zusätzlich jette ich noch, gottlob zumeist in Begleitung meiner geliebten Gattin Alma (er drückt demonstrativ Almas Hand und schaut sie kurz an), gewiss einmal jährlich um den ganzen Globus.

KIM. Das ist ein beachtliches Pensum, selbst für Jüngere. Carl, woher nehmen Sie die Power dafür?

CARL. Die „Power“, wie sie es nennen, ist ein Geschenk. Fragen Sie mich nicht, von wem (er lacht).

WALID zu Finn. Mann, das ist ja öffentlich-rechtliches Talkshow-Niveau. Und das von der Nerius!

KIM. Carl, Sie haben bis heute gut 70 Prozent ihres Privatvermögens an die Sieville International Foundation übertragen, und Sie wollen bis zu Ihrem Lebensende weitere 25 Prozent an die Stiftung abgeben. Warum?

FINN zu Walid. Das sind ja fette Summen!

CARL. Die Stiftung ist eine Herzensangelegenheit von mir. So muss man das wohl sagen. Und von meiner Frau. Und sie wurde im Laufe der letzten Jahre auch eine Herzensangelegenheit für unsere Tochter, Carla, was uns viel bedeutet, und nicht zuletzt auch für unseren lieben Freund Wolf Mayer, den Geschäftsführer der Foundation.

KIM. Das ist ein gutes Stichwort, Carl, denn wir sitzen schließlich nicht alleine hier.

WALID zu Finn. Mann, ist das abgefuckt!

FINN amüsiert zu Walid. Jetzt warte erst mal ab.

KIM fährt in ihrer Moderation fort. Alma, Sie haben einen großen Anteil am Erfolg Ihres Mannes, und daran, dass die Sieville International Foundation überhaupt entstanden ist. Erzählen Sie uns doch bitte einmal aus Ihrer Sicht, wie der Entschluss gereift ist, diese mittlerweile weltumspannende Stiftung ins Leben zu rufen.

ALMA blickt kurz zu Carl, der ihr zunickt. Das war ja am Anfang erst einmal nur so eine Idee. Es gibt doch so viele Stiftungen und wohltätige Aktionen. Da möchte man sich ja nicht einfach nur so einreihen. Wir wollten Menschen und Projekte unterstützen, die noch nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Für die es noch keine internationale Lobby gibt.

KIM. Und weil Sie selbst Ärztin sind, haben Sie sich zunächst auf Seltene Krankheiten konzentriert.

CARLA und WOLF werfen sich überraschte Blicke zu. Die Geschichte haben sie noch nicht gehört. Im Folgenden wandelt sich CARLAS Verwunderung in Empörung.

ALMA. Korrekt. Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben ein Kind, bei dem im zweiten oder dritten Lebensjahr festgestellt wird, dass es sich nicht so normal entwickelt wie andere Kinder. Im weiteren Verlauf stellen Sie fest, dass Ihr Kind kleinwüchsig bleibt und Skelettdeformitäten aufweist. Vielleicht hat Ihr Kind eine schnabelförmige Nase, Gelenkkontrakturen oder einen Hydrozephalus, also einen Wasserkopf. Da das Unterhautfettgewebe fast vollständig fehlt, sieht die Haut Ihres Kindes durchsichtig aus. Die Haare und die Fingernägel Ihres Kindes bleiben ebenso unterentwickelt wie die Zähne.

KIM betroffen. Das klingt furchtbar.

ALMA ist in ihrem Element. Nicht wahr? Das Milchgebiss Ihres Kindes persistiert und eine Geschlechtsentwicklung durch Pubertät findet nicht statt.

KIM. Was kann man dagegen tun?

ALMA. Genau mit dieser Frage kommen verzweifelte Eltern natürlich zu ihrem Hausarzt oder ihrem Kinderarzt. Aber weil diese Krankheit so extrem selten ist, wird auch der Medizinexperte erst einmal vor einem Rätsel stehen.

KIM. Um welche Krankheit handelt es sich dabei?

ALMA. Um das Hutchinson-Gilford-Syndrom, auch als „infantile progeria“ bezeichnet.

KIM. Vermute ich richtig, dass es für diese Krankheit keine Heilung gibt?

ALMA. Korrekt. Das Hutchinson-Gilford-Syndrom ist eine sogenannte „autosomal-dominante Erkrankung“ verschiedener Gewebe, die in frühester Kindheit einen extrem schnellen Alterungsprozess auslöst. Ihr Kind wird unter extremer Osteoporose und Arteriosklerose leiden und in der Regel das fünfzehnte Lebensjahr nicht erreichen.

KIM atmet erst einmal durch. Das muss für die Betroffenen und ihre Angehörigen eine unvorstellbare Belastung sein.

ALMA. Unbedingt! Aber das Hutchinson-Gilford-Syndrom ist natürlich nur ein Beispiel von vielen Seltenen Krankheiten, die die Menschen durch ihre Ausweglosigkeit in tiefe Verzweiflung stürzen.

KIM. Und um diese Menschen ohne Lobby zu unterstützen, um Geld für die Erforschung Seltener Krankheiten bereitzustellen, darum haben Sie zusammen mit Ihrem Mann am 11. September 2002 die Sieville International Foundation gegründet.

CARL wirkt zufrieden. Das kann man so zusammenfassen.

ALMA nickt beipflichtend. Korrekt.

KIM wendet sich an Carla. Carla! Sie müssen sehr stolz auf ihre Eltern sein!

CARLA pustet sichtbar durch. Ich, (Zäsur) ehrlich gesagt, bin ich momentan ein bisschen aus der Fassung.

WALID zu Finn. Ich glaube, dass wird doch noch spannend.

FINN. Sag ich doch. Abwarten.

KIM übergeht die Äußerung von Carla. Carla, Sie sind seit 2012 Vize-Präsidentin der Foundation. Warum haben Sie vor acht Jahren Ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben und sich von da an ganz in den Dienst der Stiftung ihrer Eltern gestellt? Ist Sieville für Sie eine ebenso große „Herzensangelegenheit“ wie für Ihre Eltern?

CARLA sammelt sich. Wie gesagt, ich bin ein bisschen fassungslos gerade. Ich war immer davon ausgegangen, dass mein Vater die Foundation unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 gegründet hat. Darum auch das symbolische Gründungsdatum: auf den Tag genau ein Jahr später.

CARL mischt sich ein. Das war gewiss ein ganz einschneidendes Erlebnis damals. Diese grässlichen Anschläge auf die westliche Demokratie und auf das Herz Amerikas hat uns alle tief bewegt und fassungslos gemacht. Aber sie waren nur der letzte Tropfen, der, bildlich gesprochen, unsere Herzen zum überlaufen gebracht hat. Die Keimzelle von Sieville, das waren die Gedanken, die uns Alma gerade so eindrücklich geschildert hat.

KIM. Wenn ich Sie richtig verstehe, Carla, dann verbinden Sie, mit der Sieville Foundation andere Schwerpunkte als die Erforschung Seltener Krankheiten. Welche sind das?

CARLA will keine Harmonie. Hier die Erforschung Seltener Krankheiten als den eigentlichen Stiftungszweck der Sieville Foundation hinzustellen: wie absurd, bitteschön, ist das denn? Die Fördergelder für Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Seltenen Krankheiten machen nicht einmal ein halbes Prozent unseres jährlichen Fördervolumens aus.

CARL wirkt alarmiert. Da muss ich widersprechen!

WOLF in ruhigem Ton. In diesem Punkt hat Deine Tochter aber recht, Carl. Wenn ich eines in- und auswendig kenne, dann sind es die Bilanzen der Foundation. Genau.

WALID gibt FINN ein Zeichen, dass sich der Unterhaltungswert des Live-Streams allmählich erhöht.

KIM. Wolfgang Mayer, Sie sind der Geschäftsführer der Sieville International Foundation. Was sind denn, rein bilanziell die Schwerpunktthemen der Stiftung?

CARL schneidet Wolf das Wort ab. Das kann ich Ihnen gewiss auch sagen, Frau Nerius. Natürlich haben sich die Förderanteile im Lauf der Jahre verschoben, das ist ja klar. Wir sind vielfältiger geworden. Wir haben Themen in unser Stiftungsportfolio aufgenommen, an die am Anfang niemand gedacht hat, keine und keiner von uns in dieser Runde.

CARLA sucht die Konfrontation. Und ganz aktuell gehört zu dieser Erweiterung Deines „Stiftungsportfolios“ auch die Alterforschung?

ALMA mischt sich ein. Mein liebes Kind, wir respektieren Deine grundsätzlichen Vorbehalte gegen diese Art von Forschung selbstverständlich. Aber willst Du Eltern, deren Kinder einem vorzeitigen und überaus aggressiven Alterungsprozess ausgesetzt sind, wirklich erzählen, dass wir unsere Fördergelder einfrieren werden, nur weil Forschungsergebnisse von unmoralischen Subjekten im schlimmsten Fall auch missbraucht werden könnten?

CARLA schaut ihre Mutter konsterniert an. Ich finde das bestürzend! Ihr macht mich total fassungslos! Alle beide! Was für eine perfide Inszenierung ist das hier?

CARL. Was soll das jetzt, Carla? So ein Vorwurf! Denk doch bitte daran, dass uns Menschen im World Wide Web live – just in time – zuschauen können.

FINN grinsend. Worauf Du einen lassen kannst!

CARLA wechselt einen schnellen Blick mit KIM: „Woher weiß er das?“. KIM zuckt kaum merklich mit den Schultern.

KIM versucht, die Zügel in der Hand zu behalten. Ich finde, es wird deutlich, wie viel Ihnen allen Ihre Stiftung bedeutet. Es ist geradezu greifbar, mit wieviel Engagement und Herzblut Sie um ihre Projekte ringen. Projekte, die allesamt dem Wohl von Menschen dienen.

CARLA. Das ist doch Bullshit, Kim!

ALMA gibt sich enttäuscht. Wie kannst Du sowas sagen?

CARL. Ich finde, Frau Nerius hat das sehr schön auf den Punkt gebracht, alle unsere Projekte dienen dem Wohl von Menschen.

CARLA im Angriffsmodus. Dann dient es sicher auch dem „Wohl von Menschen“, wenn die Lebenserwartung jedes einzelnen bis ins Unendliche verlängert wird!

ALMA gibt sich unschuldig. Wer will denn sowas?

CARLA. Stimmt es oder stimmt es nicht, dass wenige hundert Meter von hier entfernt die Fundamente für neue Forschungslabore gegossen werden?

CARL. Das ist richtig, aber ich denke …

CARLA unterbricht ihn. Und ist es richtig, dass diese Labore für den ebenso bekannten wie berüchtigten Bioinformatiker Anthony Greyde bestimmt sind?

CARL jovial. „Berüchtigt“, naja, ich weiß nicht!

CARLA lässt nicht locker. Also stimmt es!

CARL druckst. Du meinst sicher diesen „Letter of Intent“, den es zwischen mir und Greyde gibt.

WOLF schaltet sich ein. Sorry, Carl, dass ich Dich korrigieren muss: über eine Absichtserklärung seid ihr beide längst hinaus.

CARL platzt heraus. Und was ist daran so schlimm?

ALMA tätschelt seinen Arm. Reg Dich nicht auf, Lieber!

CARL springt auf. Was ist das überhaupt für ein Tribunal hier? Wollt ihr mich vor aller Welt zum Lügner stempeln?

ALMA versucht zu beruhigen. Kein Mensch will das! Komm, setzt Dich wieder hin! Das ist doch Deine Sendung.

KIM. Vielleicht sollten wir den Menschen an den Endgerät etwas mehr zu diesem Bio…

CARL ergänzt. Bioinformatiker. Anthony Greyde ist ein Bioinformatiker von Weltrang und ein überaus seriöser Wissenschaftler. (Er nimmt wieder Platz)

KIM. Wer ist dieser seriöse Wissenschaftler von Weltrang? Wer ist Anthony Greyde? Können Sie uns das erklären, Carla?

CARL will protestieren. Warum fragen Sie das ausgerechnet Carla?

ALMA legt CARL eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten.

CARLA. Wenn mein Vater es gestattet, werde ich ein paar Worte über diesen Greyde und seine absonderlichen Theorien verlieren.

CARL ermahnt sie. Bleib sachlich.

ALMA tätschelt erneut seinen Arm.

CARLA. Es fällt mir leicht, sachlich zu bleiben. Die Fakten sprechen im Fall Anthony Greyde für sich. (Zäsur) Anthony Greyde behauptet, dass ein Mensch, der heute geboren wird, im Schnitt eintausend Jahre alt werden kann.

WALID. Wow!

FINN. Das ist ´ne Ansage!

KIM. Wie begründet er das?

CARLA. Ganz einfach: er will den natürlichen Alterungsprozess des Menschen dadurch aufhalten, indem er zum Beispiel Organe austauscht, bevor sie erkranken.

KIM. Vorbeugende Instandhaltung sozusagen.

CARLA. Exakt! Greyde sagt das sogar, er vergleicht den Vorgang mit der Wartung einer Maschine.

KIM. Viktor Frankenstein lässt grüßen?

CARL ist empört. Hört doch auf, das ist doch unfair. Greyde strebt nicht nach Unsterblichkeit, er will bloß die „Gesundheitsspanne“ von uns Menschen verlängern, damit wir weniger Patienten mit Diabetes, Nierenversagen oder Krebs behandeln müssen.

KIM interessiert. Was genau sollen wir uns unter der „Gesundheitsspanne“ vorstellen?

ALMA schaltet sich wieder ein. Es mag skurril klingen, liebe Kim Nerius, aber das Altern ist der größte gesundheitliche Risikofaktor für den Menschen.

KIM. Das müssen Sie mir genauer erklären, liebe Alma.

ALMA. Mit zunehmendem Alter nimmt die Anzahl molekularer Schäden in unseren Zellen zu. (Sie deutet auf sich und Carl) Wir beide sind schon ziemlich schadhaft (Sie lacht rauchig) Wenn nun die Summe dieser Zellschäden ein gewisses Maß überschreitet, dann kann das zu einer zellulären Seneszenz führen, das bedeutet, dass die Zellen aufhören, sich zu teilen. Die Entdeckung, dass normale Zellen sterblich sind, hat die Zellbiologen in mächtigen Aufruhr versetzt, das kann ich Ihnen sagen (sie lacht rauchig). Das Problem dabei ist, dass diese sogenannten seneszenten Zellen das Gewebe unserer Organe schädigen, und, mein Mann hat es gesagt, im Alter die Entstehung von Diabetes 2, Nierenversagen und Krebs begünstigen können.

KIM. Verstehe. Aber was möchte Anthony Greyde dagegen tun? Sie sagten, er sei Bio-Informatiker. Will Mr. Greyde etwa schadhafte Zellen umprogrammieren?

CARL begeistert. Bingo! Genau das will er, und sein Ansatz ist brillant!

KIM. Und mit welcher Art von Forschung wollen Sie hier in Sieville diesen Ansatz unterstützen?

CARLA beansprucht das Wort. Wir in Sieville wollen diesen Ansatz gar nicht unterstützen.

CARL poltert. Du willst das nicht!

CARLA ignoriert den Zwischenruf. Sieville ist nicht die Foundation, das muss man unterscheiden.

CARL ist wütend. Du verdrehst alles!

KIM interveniert. Lassen Sie Ihre Tochter doch bitte ausreden, Carl!

CARL. Dann soll sie die Wahrheit nicht verdrehen!

ALMA liebevoll streng. Carl!

CARLA. Darf ich weitersprechen?

KIM. Bitte, Carla!

CARLA. Die Sieville International Foundation ist eine Institution. Die Kommune Sieville hier auf der Insel dagegen ist ein Gemeinwesen. Darauf haben wir uns alle zusammen von Anfang an verständigt. Sie können es als Experiment bezeichnen oder als das wichtigste Projekt der Foundation.

CARL mürrisch. Das sind doch Details, die niemand außer uns versteht.

CARLA beharrt. Diese Details sind wichtig, um unsere unterschiedlichen Positionen zu verstehen. (Zäsur) Mein Vater ist nämlich der Meinung, dass der, der das Geld bereitstellt, auch allein bestimmen kann, was mit dem Geld passiert.

CARL platzt dazwischen. Das ist doch Humbug! (An Kim gerichtet) Merken Sie jetzt, wie sie die Wahrheit verdreht?

KIM. Carl, so hat das keinen Zweck! Bitte lassen Sie Ihre Tochter ausreden. Sie werden anschließend Gelegenheit haben, Ihre Sicht der Dinge darzustellen. (Wendet sich an Carla) Carla, bitte lassen Sie uns noch einmal auf die Kommune Sieville blicken, das Gemeinwesen, wie Sie es bezeichnet haben.

WOLF ergreift das Wort. Wenn ich etwas dazu sagen darf, als neutrales Nicht-Mitglied der Familie Sieven sozusagen?

KIM versichert sich mit einem Blick bei Carla, ob sie damit einverstanden ist, Wolf das Wort zu überlassen. Bitte, Wolf!

WOLF. Warum ist der 11. September als Symbol so wichtig für Sieville? Weil wir an diesem Tag im Jahr 2001 nicht nur einen Anschlag auf irgendwelche Gebäude und die darin befindlichen Menschen erlebt haben, sondern einen Angriff auf unsere westlichen Werte, auf unsere Kultur der freiheitlichen Demokratie. Diese Anschläge haben uns aufgerüttelt und in Angst versetzt. Sie haben Krieg ausgelöst und die Solidarität einer vermeintlichen Schicksalsgemeinschaft gegen einen vermeintlich barbarischen Feind. Genau. (Zäsur) Was haben diese Anschläge aber nicht ausgelöst? Eine kritische Auseinandersetzung mit uns selbst. Nine-Eleven hat uns auf- aber nicht wachgerüttelt. Wir haben uns weder der Frage gestellt, ob unsere Werte und Normen in ausreichendem Maß die Realitäten in unserer Welt berücksichtigen, noch haben wir uns gefragt, ob unser globales Handeln unseren eigenen Wertvorstellungen entspricht. (Zäsur) Globale Märkte, der Zwang zu permanentem Wachstum, die Vorstellung, nur durch Haben bedeutsam sein zu können, und die Hybris moralischer Überlegenheit erweisen sich in Kombination mit einer grassierenden Ich-Bezogenheit und grober Verantwortungsverweigerung als Gift für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft.

CARLA hat die Ausführungen von Wolf mit sichtbarer Zustimmung verfolgt. Genau! Das ist der Punkt. Demokratie alleine reicht nicht. Jede und jeder Einzelne von uns muss erkennen, dass Frieden, Freiheit, Wohlstand und die vielbeschworene Nachhaltigkeit nicht von Berufspolitikern herbeigezaubert werden können, die alle paar Jahre von gerade einmal fünfzig oder sechzig Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in die Parlamente gewählt werden. Wir alle gemeinsam sind für unser Gemeinwesen verantwortlich.

CARL gallig. Na, das erzähl mal der verwöhnten Jugend von heute!

CARLA. Unsere Jugend ist nicht verwöhnt, unsere Kinder und Jugendlichen sind verunsichert, weil ihnen Orientierung fehlt.

CARL winkt spöttisch ab. Du hast nie aufgehört, Lehrerin zu sein!

CARLA voll bitterer Wucht. Deine eigene Enkeltochter ist derart orientierungslos, dass sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen!

Betretenes Schweigen. ACHIM BLUMENAU steht auf, legt sein Tablett auf den Stuhl und eilt von der Bühne. FINN drückt WALID wie zum Schutz an sich. MAYA ist wie versteinert.

ALMA bricht das Schweigen. Das war nicht geplant. Ich denke, wir sollten jetzt die Übertagung abbrechen. Das ist zu privat.

CARLA. Nein! Das möchte ich noch sagen, das ist mir wichtig.

WOLF legt beruhigend seine Hand auf ihren Arm. Carla!

CARLA schüttelt seine Hand ab und steht auf. Lass mich!

CARLA löst sich aus dem Stuhlkreis und spricht direkt in eine imaginäre Kamera zu ihrer Tochter. MAYA starrt mit wachsendem Widerwillen auf ihr Smartphone.

CARLA. Maya!

CARL will aufstehen und seine Tochter am Weitersprechen hindern. KIM und ALMA halten ihn zurück.

CARLA. Liebste Maya! Vor neun Jahren habe ich Dich und Deinen Vater verlassen. Damals warst Du gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Ohne euch bin ich nach Sieville gegangen, um Vize-Präsidentin der Foundation zu werden. Das war ein großer Fehler, weil ich die reale Welt gegen eine Schimäre eingetauscht habe. Weil ich Dich und Deinen Vater im Stich gelassen habe. Und das wirst Du mir zu recht wohl nie verzeihen. (Kurzes Innehalten) Mein Antrieb dafür war so egoistisch wie anmaßend. Ich habe wirklich und wahrhaftig daran geglaubt, dass wir in Sieville ein Modell für Verantwortungsbewusstsein und Gemeinsinn entwickeln können, das seine Strahlkraft in die ganze Welt hinaus entwickelt, und das den Menschen Deiner Generation dauerhaft ein Leben in Frieden, Freiheit und Zufriedenheit sichern wird. Und zwar nicht gegen sondern im Einklang mit der Natur. Aber das war nicht nur anmaßend sondern dumm von mir. Es ist dumm, zu glauben, dass wir Menschen die Vernunft entwickeln können, das technisch oder medizinisch Machbare nicht zu machen, um durch bewusstes Unterlassen unseren Seelenfrieden, den sozialen Frieden und die Natur vor Zerstörung zu bewahren. Du hast so recht: was machbar ist, das wird gemacht. Und jedes lukrative Geschäft, das gemacht werden kann, wird gemacht. Daran ändert ein Gesellschaftsmodell, das von irgendwelchen Aussteigern auf einer Insel im Pazifik ersponnen wird, rein gar nichts. (Kurzes Innehalten) Trotzdem halte ich unsere Welt für wunderbar und lebenswert. Und ich möchte jede noch so kleine Chance dazu nutzen, mich selbst und meine Umwelt jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Liebe Maya, liebste Tochter, hilf mir bitte dabei! In dieser Zeit in Sieville habe ich mich immer weiter von den Realitäten des normalen Lebens entfernt. Du musst mir den Weg zurück in die reale Lebenswelt aufzeigen, mich führen, an die Hand nehmen. Dann können wir zusammen dem ein oder anderen Arschloch so richtig auf den Sack gehen! (Sie lacht kurz verzweifelt auf) Wollen wir das zusammen machen? Maya? Bitte! (Haucht kaum hörbar) Bitte!

WOLF MAYER steht als erster auf. Während er zu CARLA hinübergeht, stehen auch KIM, ALMA und CARL auf. KIM geht weiter über den Laufsteg zum Schilderbaum. Sie dreht das Hinweisschild mit der Aufschrift „Sieville“ zu den Zuschauern. Damit ist der Live-Stream beendet. FINN klappt den Laptop zu und steht auf. WALID bleibt zunächst betroffen am Boden sitzen.

Auf dem Rückweg zur Spielfläche hält KIM auf der Höhe von MAYA ganz kurz an. MAYA ist dabei, eine Nachricht in ihr Smartphone zu tippen. Sie schaut kurz auf. Für einen Wimpernschlag treffen sich die Blicke von KIM und MAYA. Dann konzentriert sich MAYA wieder auf ihr Smartphone und KIM geht zurück auf die Spielfläche. ALMA hält CARL davon ab, ebenfalls zu CARLA hinüber zu gehen. Sie verlassen zusammen nach links die Spielfläche und die Bühne.

Während sich KIM zu CARLA und WOLF MAYER gesellt, bewegt FINN WALID dazu, aufzustehen und im zu folgen. Gemeinsam verlassen sie nach rechts die Bühne. MAYA ist inzwischen ebenfalls aufgestanden. Sie holt die weggeworfene Maja-Puppe zurück und setzt sie auf die Gartenliege. Anschließend drückt sie der Puppe das Smartphone in die Arme und verlässt die Bühne auf dem Weg rechts an der Spielfläche vorbei in den Hintergrund hinein.

KIM löst sich aus der Gruppe mit WOLF und CARLA und stapelt die Stühle ineinander. WOLF nimmt ihr die zusammengestapelten Stühle ab und trägt sie nach links von der Spielfläche und der Bühne. KIM gibt der Beleuchtung ein Zeichen. Daraufhin erlischt das helle Scheinwerferlicht und wird durch die normale Bühnenbeleuchtung ersetzt. KIM geht an den linken Rand der Spielfläche, um sie zu verlassen.

KIM schaut sich zu Carla um. Kommst Du, Carla?

CARLA über die Schulter. Geh bitte schon vor, ich komme gleich nach.

KIM zögert noch einen Augenblick, dann verlässt sie nach links die Spielfläche und die Bühne. Als alle fort sind, geht CARLA in die Knie und gibt sich ihrer Erschöpfung und einem Weinkrampf hin.


Sechzehnte Szene

CARLA SIEVEN wischt sich die Tränen aus den Augen und steht auf. Mit leerem Blick schaut sie sich um. Dann geht sie auf den Laufsteg zu. Sie zögert kurz, dann macht sie ein paar tastende Schritte hinab. Schließlich läuft sie von einer bösen Ahnung getrieben zur Gartenliege.

CARLA ängstlich. Maya?

CARLA sucht in der Umgebung der Liege nach Maya. Dann fällt ihr die Maja-Puppe mit dem Smartphone in die Augen. Sie geht zur Liege, setzt sich und nimmt das Smartphone zur Hand. Angsterfüllt blickt CARLA auf das Smartphone, dann gibt sie sich einen Ruck und wischt mit dem Finger über das Display. Die letzte Nachricht von Maya lässt sie erstarren.

CARLA liest tonlos die Worte vom Display. „Alles nur Worte“.

Zunächst kann CARLA nicht ihren Blick vom Display wenden. Ihre Hände fangen an zu zittern, dann springt sie auf uns blickt sich voller Panik um.

CARLA panisch. Maya? Maya, wo bist Du? (Mit aller Kraft) Maya!

CARLA krallt ihre Finger um das Smartphone und rennt los. Sie läuft nach rechts von der Bühne ab.

 

Meeresrauschen. Das Brechen von Wellen ist hörbar. Auf der weißen Rückwand flimmert blaues und weißes Licht wie Wasser und Gischt. Von vorne links betritt MAYA BLUMENAU barfüßig die Bühne. Sie trägt nur noch das weiße Nachthemd ohne die Strickjacke. Langsam aber zielstrebig betritt sie den Laufsteg und geht bis zur Spielfläche. Das Meeresrauschen wird lauter. Am Rand der Spielfläche streift sie sich die Spaghettiträger ihres Nachthemdes von den Schultern, so, dass es von ihrem Körper abfällt. MAYA tritt aus dem Textilring zu ihren Füßen und schreitet vollständig nackt über die Spielfläche hinweg auf das weiß-blaue Flimmern zu. Das Meeresrauschen schwillt noch einmal an.

 

BLACK OUT

ENDE


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Vielleicht möchten Sie das Schauspiel "Sieville" inszenieren und auf die Bühne bringen.

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