Auch der Staat muss sich messen lassen

Unser Zusammenleben ist ohne gegenseitiges Vertrauen nicht denkbar. Frei kann nur der sein, der anderen vertraut und gleichzeitig weiß, dass die Anderen ihm ebenfalls vertrauen.

In unserem Alltag erleben wir es immer wieder, dass Vertrauen ausgenutzt wird. Das macht uns misstrauisch. Weil wir wissen, dass ein uneingeschränktes Vertrauen jedem und jeder gegenüber naiv ist, sprechen wir von dem "gesunden Misstrauen", oder wir sagen: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Aus diesem Grund ist in jedem Rechtsstaat die sog. "Gewaltenteilung" verankert. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das Misstrauen nicht nur gegenüber einzelnen Personen sondern auch gegenüber staatlichen und nicht staatlichen Institutionen gewachsen ist. Und mir scheint, dass dieses Misstrauen zunehmend ungesund wird.

Wir vertrauen nicht mehr darauf, dass unsere Lebensmittel ausreichend kontrolliert werden, wir misstrauen unserer Polizei, wir zweifeln die Neutralität unserer Gerichte an, wir haben Angst davor, im Krankenhaus nicht gewissenhaft behandelt zu werden, und so weiter...

Diesem Misstrauen müssen wir begegnen, weil dauerhaftes Misstrauen krank macht - nicht nur die einzelnen Menschen, sondern irgendwann auch unsere Gesellschaft insgesamt. Da einmal verloren gegangenes Vertrauen jedoch nur unter großen Anstrengungen zurück gewonnen werden kann, dürfen wir mit der Vertrauensarbeit nicht mehr länger warten. Dabei müssen wir systematisch vorgehen, konsequent, transparent, nachvollziehbar und nachhaltig.

Seit 2002 wird eine "Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie" erstellt und fortgeschrieben. Zur Erfolgskontrolle dieser Strategie werden Indikatoren verwendet, über deren Entwicklung regelmäßig berichtet wird. Dieses Verfahren ist vom Ansatz her systematisch und durch die Berichterstattung auch ansatzweise transparent. Nachvollziehbarkeit und Konsequenz können aber durchaus hinterfragt werden: Nach welchen Kriterien werden beispielsweise die Erfolgsindikatoren ausgewählt? Wie konsequent wird negativen Entwicklungen entgegen gewirkt? Welchen Einfluss hat die Nachhaltigkeitsstrategie auf die deutsche Politik?

Einmal mehr verweise ich in diesem Zusammenhang auf unsere Grundrechte, da sie unser Kompass sind, unser Maßstab, an dem wir den Reifegrad und die Entwicklung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht nur ablesen können sondern meines Erachtens auch müssen. Ist es nicht die vornehmste Pflicht unserer staatlichen Institutionen, für jede Bürgerin und jeden Bürger die Grundrechte zu wahren? Dazu reicht es aber nicht aus, Verfassungsschutzberichte über mögliche und tatsächliche Gefährdungen zu erstellen. Vielmehr sollten aussagefähige Indikatoren festgelegt werden, anhand derer die Wahrung unserer Grundrechte nachvollziehbar transparent gemacht werden kann. Denn nur, wenn wir uns dieser Wahrung gewiss sind, können wir das notwendige Vertrauen in unsere Institutionen und unsere Gesellschaft (zurück) erlangen und vertiefen.

Schon jetzt enthält das sog. "Managementsystem der Nachhaltigkeit" Indikatorenbereiche, die mit den Grundrechten in Verbindung stehen: z.B. "Armut", "Bildung", "Perspektiven für Familien" oder "Gleichstellung".

Diese Verbindung sollte m. E. konsequent gestärkt werden, indem zu jedem Grundrecht Nachhaltigkeitsindikatoren festgelegt werden, die in ihrer Gesamtbetrachtung eine fundierte Aussage über den verfassungsgemäßen Zustand und die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft zulassen.

Wirksamkeit wird dann erreicht, wenn für negative Entwicklungen verbindliche Korrekturmaßnahmen festgelegt werden, die von einer Regierung - unabhängig von ihrer politischen Farbzusammensetzung - umzusetzen sind.

Als Instanz, die sowohl die Entwicklung dieser Indikatoren überwacht als auch konsequentes Handeln zur Wahrung der Grundrechte und der Korrektur negativer Entwicklungen von den Regierenden einfordert, kann ich mir den Bundespräsidenten vorstellen. Eine jährliche Betrachtung, Bewertung und Kommunikation der Indikatoren und Korrekturmaßnahmen durch das Bundespräsidialamt könnte zu einem wirksamen Mittel der Vertrauensarbeit werden, weil es neben Partei- und Regierungsprogrammen noch eine weitere, objektivere Grundlage für politisches Handeln geben würde.