Ohne es mit Zahlen belegen zu können, behaupte ich, dass Rassisten und Menschen mit einer nationalsozialistischen Gesinnung in Deutschland eine Minderheit darstellen. Angehörige dieser Minderheit
fallen immer mal wieder durch menschenverachtende Äußerungen, Aktionen und Straftaten auf.
Zu beobachten ist, dass solche Taten in den anderen Menschen, die keine Rassisten sind und keine nationalsozialistische Gesinnung haben, ein besonderes Unbehagen auslösen. Offenbar erscheint es
vielen von uns als notwendig, sich in überdeutlicher Weise von diesen Tätern und ihren Taten zu distanzieren. Das finde ich bemerkenswert. Zumal ich ein vergleichbares Bedürfnis zur öffentlichen
Verurteilung und einer Abgrenzung der eigenen Person bei anderen schweren Verbrechen nicht beobachten kann. Oder schwenken wir Banner mit Botschaften wie "Wir lehnen Vergewaltigung ab" oder "Wir
sind keine Mörder"? Nein, das tun wir nicht. Und ich denke, wir tun es deswegen nicht, weil wir keine Angst davor haben, verdächtig zu sein - deswegen nicht, weil es für uns selbstverständlich
ist, diese Verbrechen abzulehnen, und wir uns sicher sind, anderen diese Selbstverständlichkeit nicht beweisen zu müssen. Bei den Verbrechen jedoch, bei denen wir einen rechtsradikalen
Hintergrund vermuten, scheinen wir diese Sicherheit nicht zu besitzen.
Warum eigentlich nicht? Trauen wir uns selbst nicht so ganz "über den Weg", oder ist unsere Angst davor, dass uns unsere europäischen Nachbarn und unsere internationalen Verbündeten immer noch
kollektiv für Nazis halten, derart groß?
Meines Erachtens hat Deutschland mit seinen Werten, seinem Grundgesetz, dem Auftreten und Wirken seiner Regierungen sowie der Lebensart seiner Bürgerinnen und Bürger längst bewiesen, dass es ein
freiheitliches, demokratisches und weltoffenes Land ist. Dieses Selbstverständnis müssen wir nicht jedesmal neu demonstrieren, wenn einzelne gewaltbereite Hohlköpfe ihre dumpfe Weltanschauung mit
Straftaten heroisieren wollen. Diese Personen sind es nicht wert, dass wir ihren Taten mit anderen Mitteln begegnen, als denen, die uns rechtsstaatlich ausreichend zur Verfügung stehen.
Kundgebungen, wie die am 27. Januar 2016 in Barsinghausen gegen Fremdenfeindlichkeit, sind mehr als gut gemeint. Ich habe den allergrößten Respekt vor den menschlichen Beweggründen der
Teilnehmer. Meines Erachtens sind sie jedoch das falsche Mittel, die Solidarität mit tatsächlichen und potentiellen Opfern fremdenfeindlicher Verbrechen zu zeigen. Eine freiheitliche Gesellschaft
wird Straftaten niemals zu 100 Prozent verhindern können. Auch nicht solche, die sich gegen fremde, anders denkende oder anders lebende Menschen richten. Die freiheitliche Gesellschaft muss sich
aber nicht gemeinschaftlich für diese Täter und ihre Taten schämen. Wir Bürger brauchen uns auch nicht öffentlich von diesen Taten distanzieren. Wir können ihnen mit unserem sicheren
Selbstbewusstsein entgegentreten, Teil einer freien, demokratischen und weltoffenen Gesellschaft zu sein, in der Rassismus und nationalsozialistisches Gedankengut keinen Nährboden haben.
Das ist unser Selbstverständnis, (für) das wir nicht immer wieder neu demonstrieren müssen.