Angst ist ein schlechter Begleiter

Diese Schlagzeilen waren nach dem Anschlag von Berlin zu befürchten: "Deutsche wollen mehr Kameras an öffentlichen Plätzen" (Spiegel Online, 25.12.2016).


Ganz davon abgesehen, dass es mir zuwider ist, selbst in sog. "seriösen Medien" immer wieder von "DEN Deutschen", "DEN Europäern", "DEN Homosexuellen" oder "DEN Flüchtlingen" zu lesen, halte ich es für fragwürdig, derartige Umfragen unter dem "frischen" Eindruck von Terrorakten oder anderen katastrophalen Ereignissen zu machen. Menschen mit Angst neigen dazu, jede Maßnahme zu befürworten, die geeignet erscheint, ihnen ihre Angst zu nehmen. Das macht es Populisten so leicht, ihre billigen Schein-Lösungen zu verkaufen. Mehr Kameras an öffentlichen Plätzen hätten den Anschlag von Berlin sehr wahrscheinlich nicht verhindert. Ebenso wenig wie die Maßnahmen, die in der Folge von "9/11" durch zahlreiche Gesetzesänderungen beschlossen wurden, seinerzeit die Anschläge auf das World Trade Center in New York sicher verhindert hätten. Trotzdem lassen wir es immer wieder zu, uns durch derartige "Placebo-Gesetze" beruhigen zu lassen.


Der Überwachungsstaat verhindert keine Verbrechen, er bringt lediglich andere Täter hervor. Diese These wird durch unsere eigene Geschichte und die aktuell geübte Praxis in vielen Ländern untermauert. Wir sollten uns immer wieder klar machen, dass hinter jeder Kamera ein Mensch sitzt und jede Überwachungsmaßnahme von Menschen gesteuert wird.
Viele Gesetze sind kein Garant für viel Sicherheit. Auch das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Konzentrieren wir uns lieber darauf, das besetehende Recht konsequent anzuwenden, es systematisch zu überprüfen und fortlaufend zu verbessern, anstatt immer neue Gesetze aus "dem Hut zu zaubern". Der Terror, dem wir uns momentan ausgesetzt sehen, richtet sich gegen eine freie, liberale Gesellschaft. In Deutschland und Europa haben wir uns ein hohes Maß an Freiheit und Liberalität erarbeitet. Die Ergebnisse unserer Arbeit sind noch nicht perfekt und der gemeinsame europäische Weg ist noch lang. Ich möchte aber nicht, dass wir uns auf diesem Weg durch Terror und unsere Angst davor stoppen lassen, denn das wäre nicht nur im Sinne derer, die den Terror verbreiten, sondern auch derer, die den Terror zur Verbreitung ihrer nationalstaatlichen Ideen nutzen.


DEN Staat, der alles für uns richtet, den gibt es nicht. DIE da oben, die für jeden Murks aber auch für unsere Sicherheit verantwortlich sein sollen, die gibt es ebenfalls nicht. Es gibt nur UNS. Jede Bürgerin und jeder Bürger trägt Verantwortung über den privaten Lebensbereich hinaus. Es mag unbequem klingen, aber es wird Zeit, dass wir alle zusammen erwachsen werden.
"Mutti Merkel" und "Papa Schäuble" können es nicht richten, "Onkel Heiko" und "Tante Ursel" können uns keine Sicherheit garantieren, und der tapsige "Großonkel aus Bayern" schon gar nicht.


Für eine "freie Fahrt" auf unseren Autobahnen riskieren wir oft "Kopf und Kragen", Tote und Verletzte nehmen wir dafür billigend in Kauf. Nach kriminellen Anschlägen auf unsere Freiheit und unsere Werte schreien wir jedoch nach Maßnahmen, die eben diese Freiheit einschränken und unsere Werte massiv in Frage stellen. Das ist für mich absurd und ein sicheres Zeichen dafür, dass Angst ein ebenso schlechter Berater ist wie Übermut.