Kultur ist mehr

Es ist schade, um nicht zu sagen ärgerlich, dass wir den Begriff "Kultur" überwiegend auf die "Schönen Künste" reduzieren. Derart eingegrenzt sind nur die Künstler "Kulturschaffende", und der große Teil unserer Gesellschaft ist ausgegrenzt, hat mit Kultur nichts zu tun. Aber das ist falsch, denn wir sind alle Kulturschaffende, weil wir zusammen die Kultur schaffen, die unser Gemeinwesen auszeichnet. Unsere Werte und Normen, unsere Gesetzgebung, unsere Städte und unsere Kulturlandschaften, unsere Sprache, die Art, wie wir denken, mit fühlen und miteinander umgehen - unsere gesamte Lebensführung ist Teil unserer gemeinsamen Kultur.

Und um diese Kultur sollten wir uns Sorgen machen. Die Werte, die wir mit den Grundrechten in unserem Grundgesetz festgeschrieben haben, werden m. E. nur ansatzweise gelebt und in Zeiten, die krisenhaft erscheinen, werden sie schon mal kurzerhand beiseite geschoben. Das erleben wir nicht nur in der derzeitigen Pandemie-Situation. Gemeinsam lassen wir es zu, dass unser Misstrauen und unsere Ängste unsere gemeinsame Kultur verändern. Aus Angst vor "dunklen Mächten" oder Krankheit und frühen Tod nehmen wir Einschränkungen unserer Freiheitsrechte und immer weitreichendere Überwachungsmaßnahmen in Kauf. Unser Misstrauen richtet sich gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, nicht jedoch gegen Personen und Institutionen, die uns zweifelhafte Sicherheitsversprechen geben.

Mir erscheint unsere Gesellschaft seltsam unaufgeklärt, unreif und unselbständig. Es lassen sich m. E. viele Anzeichen von Überforderung erkennen. Selbst in den Nachrichtenmedien, die immer häufiger Meinung statt Information verbreiten, ist Verunsicherung zu spüren, die Unsachlichkeit begünstigt.

Leider habe ich nicht den Eindruck, dass die aktuellen Herausforderungen, vor die wir durch Pandemie, Hochwasser, Fluchtbewegungen oder soziale Verwerfungen gestellt wurden, eine grundlegende Beschäftigung mit unserer Kultur und der Frage, welche Kultur wollen wir miteinander gestalten und leben, auslösen werden. Die Sehnsucht nach der "Normalität" und nach einfachen Lösungen wird weiterhin unsere Aktivitäten und unsere Passivität bestimmen.

Dabei sollten wir uns aber immer vor Augen führen, dass wir alle, ohne Ausnahme, Kulturschaffende sind.