4 | Umsetzung in die politische Praxis

Die Gesamtbewertung unseres Gemeinwesens sollte weder von der amtierenden Regierung noch von Berufspolitikern durchgeführt werden. Ich sehe die systematische Gesamtbewertung unseres Gemeinwesens als Aufgabe für sachkundige Personen aus den wesentlichen Interessengruppen, die unter Federführung des Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes erfüllt wird. Beim Bundespräsidenten ist sie bereits heute verankert:

„Im Gegensatz zu den Bundesministerien, die in Reihen der Bundesregierung jeweils nur für bestimmte Teilgebiete der Politik und Verwaltung zuständig sind, befasst sich das Bundespräsidialamt entsprechend den Aufgaben und Befugnissen des Bundespräsidenten mit allen Bereichen der Politik. Hierzu beobachtet und analysiert es die wesentlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Es erarbeitet für den Bundespräsidenten Konzeptionen und Denkanstöße, die er in Reden, Gesprächen und Veranstaltungen zur Diskussion stellen kann."

Auf der Internetseite des Bundespräsidenten (www.bundespraesident.de) wird zu der „Verfassungsrechtlichen Grundlage“ seines Amtes ausgeführt:

„Der Bundespräsident ist Staatsoberhaupt. Auch wenn es keine Hierarchie zwischen den Verfassungsorganen gibt, steht er protokollarisch an der Spitze des Staates. Er ist dasjenige Verfassungsorgan, das die Einheit der Bundesrepublik Deutschland verkörpert und nach innen und außen repräsentiert. Dies geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftreten den Staat selbst – seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit – sichtbar macht. Darin kommen zugleich die Integrationsaufgabe und die rechts- und verfassungswahrende Kontrollfunktion seines Amtes zum Ausdruck.“

Die „rechts- und verfassungswahrende Kontrollfunktion seines Amtes“ sollte die systematische Überprüfung der Angemessenheit, Integrität und Wirksamkeit des Gemeinwesens als sozioökonomisches System beinhalten, denn diese dient auch der Bewertung, ob Recht und Verfassung gewahrt sind und gewahrt bleiben. Risiken für das gesellschaftliche Gefüge könnten viel schneller erkannt und durch gezielte Maßnahmen minimiert werden, als es heute der Fall ist. Die einzelnen Indikatoren zur „Lage der Nation“, wie z. B. der Verfassungsschutzbericht, die Statistiken zur Kriminalitätsentwicklung, das Bruttosozialprodukt, der Geschäftsklimaindex und viele andere würden nicht einzeln betrachtet werden, sondern mit ihren Wechselwirkungen als Einflussfaktoren auf das Gesamtsystem. Dadurch können gezielt Verbesserungsmaßnahmen für die dringenden Probleme definiert werden, damit es durch das Festlegen falscher Schwerpunkte nicht zu erheblichen Störungen oder – im schlimmsten Fall – zu einem Systemversagen kommt.

Die Verbesserungsmaßnahmen, die mit diesem Bewertungsverfahren abgeleitet werden, müssen nicht zwingend die Projekte sein, die in einem Koalitionsvertrag stehen. Aus diesem Grund muss der Bundespräsident auch die Befugnis erhalten, politische Ziele zu setzen, die von der amtieren-den Regierung vorrangig zu erreichen sind. Das wäre eine präsidiale Richtlinienkompetenz zur Ausrichtung der Politik, kein Eingriff in die operative Arbeit der Regierung. Der Bundespräsident würde Anforderungen an die Regierung stellen, die sie mit ihren Mitteln erfüllen muss. Der Bundespräsident würde die Erfüllung überprüfen und ggf. Nachbesserungen einfordern können. Re-den kann der Bundespräsident trotzdem halten und Gespräche führen. Konzepte und Denkanstöße sollte er auch wie gewohnt in Veranstaltungen zur Diskussion stellen. Darüber hinaus sollte er aber über die Befugnis verfügen, politische Korrekturen und Verbesserungen verbindlich einzufordern, bevor es zu einer ernsten Schieflage des Gemeinwesens kommt, die einen weitreichenden, von der Verfassung vorgesehenen „Not-Eingriff“ des Bundespräsidenten notwendig macht: die Auflösung des Parlaments.